FILMKRITIK: „TÁR“ (Drama/Musical - 2022)



Also: TÁR mitzuerleben, zu begreifen, und auch weitestgehend auszuhalten, hat in mir eine wahre Hassliebe entfacht. Der Frust rührt ganz klar daher, dass Todd Field sich schlicht und einfach verzettelt hat. Er hat sich in unnötig lang gezogenen (Dialog-)Szenen verstrickt, entwirft vielerlei nebensächliche Story-Komponenten, die lediglich als Füllmaterial dienen und vergisst VOLLSTÄNDIG - und das ist so verflucht traurig - auf den wesentlichen Kern der Sache: Lydia als KomponistInnen-Wunder darzustellen, sie als Ikone zu formen, sie als totalitäre Exzentrikerin, als über die Maße ehrgeizige, cholerische, impulsive Persönlichkeit hinters Pult zu stellen und sie über die musikalischen Eindrücke fortwährend definieren zu lassen. Außerdem wurden die Beziehungen der Charaktere zueinander derart stiefmütterlich behandelt, dass ich keine einzige Figur beim Vornamen kenne, und von Gefühlen brauche ich hier erst gar nicht zu reden. Leute: Ich liebe auch mal geistig herausforderndes Kino, aber: Klugscheißer-Dasein und hyperintelligente Fachsimpelei in allen Ehren, aber das reicht hier ganz einfach NICHT aus, um die Augen und Ohren der Zuschauer 158 Minuten lang zu befriedigen. Entschuldigt bitte die Eindringlichkeit der nachfolgenden Fragen, aber: Eine ganze Stunde lang fragt man sich: Was kann Lydia eigentlich? Warum zum Teufel ist sie so überspannt, so exaltiert, beinahe unausstehlich? I don‘t know.


Jedenfalls: Den Enthusiasmus, die Faszination, kurz: Die Liebe für TÁR schöpfe ich ganz klar aus Cate Blanchetts beeindruckendem Schauspiel, das gerade in den stillen Momenten, in den feinen Nuancen, aber auch in ekstatischer Rage, auf den Punkt gebracht wurde, eine Blanchett, die so vielseitig und gleichzeitig einnehmend ist und die schlussendlich alles, ja wirklich ALLES dafür tut, damit Lydia zu einer Brand wird. Ich dachte nur: Gebt ihr zum Teufel noch mal einen passenden Text, lasst sie eigenständig agieren und haltet das Ganze doch einfach nur mit der Kamera fest. Was macht die Regie, bzw. der Autor (In diesem Fall ist es dummerweise dieselbe Person.) Sie packt das Drehbuch voll mit Pseudo-Zeugs, bauscht jede noch so unwichtige Nebenhandlung zwanghaft auf, kaut jedes Wort zehnmal durch und spuckt es Blanchett vor die Füße.


So. Und jetzt höre auch ich mit dem ganzen Geschwafel auf und bringe die Sache zu Ende: Das ist KEINE gute Regiearbeit von Todd Field. Einfach: NEIN! TÁR ist MINDESTENS um eine halbe Stunde zu lang geraten, hat ein grenzwertig pseudointellektuelles Drehbuch, das KEIN Mensch auf Gottes Erde gebraucht hätte, außer DirigentInnen, die ebenso neunmalklug daherreden und sich daran ergötzen, so verflucht geil zu sein. Nach 2 Stunden zähem Schwadronieren und der immer wieder aufkeimenden Hoffnung, es könnten musikalische Wunder passieren, dachte ich mir ernsthaft: Wenn nicht gleich Terence Fletcher („Whiplash“) da drüben wutentbrannt durch die Tür gestürmt kommt und mit der gesamten Tár-Belegschaft den Fußboden wischt, klatsch’ ich die verdammte Bluray an die Wand.


Inhaltsangabe:


Lydia Tár (Cate Blanchett) hat sich als Dirigentin einen Namen gemacht und gilt in der von Männern dominierten Welt als Star. Sie ist die erste Frau, die die Leitung eines renommierten deutschen Orchesters übernehmen soll, doch nicht alle sind mit dieser Entscheidung zufrieden, denn die Autorin, Dirigentin und Dozentin ist eine kontroverse Persönlichkeit. Für Lydia beginnt ein Drahtseilakt, in dem es nicht nur um ihre Kreativität, sondern auch um Macht, institutionellen Rassismus und die Frage von Autorität geht. Als der Druck von professioneller und privater Seite wächst droht sie vollends die Kontrolle zu verlieren.


Mit "Tár" erzählt Regisseur, Autor und Produzent Todd Field die faszinierende Geschichte von Lydia Tár (Cate Blanchett), die als erste weibliche Chefdirigentin ein großes deutsches Orchester leitet. "Tár" zeichnet das Bild einer hochkomplexen Frauenfigur und gleichzeitig ein provokatives Porträt des klassischen Musikbetriebs.

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