FILMKRITIK: „MIDSOMMAR“ (Horror/Drama - 2019)



Der unaufhaltsame Kreislauf beginnt mit dem Tod, wächst sich schleichend, völlig subtil zum verheerenden Trauma, weitet sich zum emotionalen (Beziehungs-)Drama aus und eskaliert schlussendlich in einem fulminanten - nicht für jede Figur zufriedenstellenden - Schlussakt. Diese rein oberflächlich betrachtete Summary trifft vollends auf Ari Asters Regiedebüt „Hereditary“ zu, könnte allerdings genau so auf „Midsommar“ umgelegt werden, denn diese beiden Titel haben so viele Gemeinsamkeiten und könnten dennoch nicht unterschiedlicher sein. Lasst uns zuerst die Parallelen erörtern: Wir haben abermals einen richtig starken Cast, der von Florence Pugh angeführt wird, die ich ungemein sympathisch finde, naiv ohne Ende, aber überaus liebenswert, die in schauspielerischer Hinsicht eine Hammerperformance hinlegt (vor allem die Close-up-Szenen sind umwerfend) und sich - ähnlich wie Toni Collette in „Hereditary“ - perfekt in Asters Welt einfügt. Auch den Rest der Belegschaft (allen voran Jack Reynor, der den Arschloch-Boyfriend von Dani verkörpert & Vilhelm Blomgren, der sich als Kommunen-Reiseführer aufspielt) darf man keinesfalls unerwähnt lassen, schließlich verkörpert jeder einzelne von ihnen seine Rolle mit Präzision und liefert somit einen enorm wichtigen Beitrag zum„Midsommar“-Gesamtkonzept. Ebenso gefreut hat mich, dass Will Poulter („Wir sind die Millers“) mit am Start ist, den Ari Aster als humoristischen Sidekick nutzt und seine überschaubare Screentime mit schlechten Gags pflastert. Ich liebe diesen Typen einfach.


Ein weiteres gemeinsames Merkmal der beiden Aster-Produktionen ist die unverschämt geniale Kameraarbeit von Pawel Pogorzelski. Holy Shit. Wie er diese Kamerafahrten gezielt dafür einsetzt, um die Charaktere auf Schritt und Tritt zu verfolgen und sich ihnen derart penetrant an die Fersen heftet, dass es sich oftmals ganz schön unangenehm angefühlt hat. Ich schätze vor allem diese kreativen Ansätze, Zoomfahrten als Stilelement zu nutzen, das Leid von Figuren durch bedachte Nahaufnahmen einzufangen oder auch einer völlig bizarren, abgedrifteten Szene Bodenhaftung zu verleihen. Völlig egal, ob mit den Soundbegleitungen von Colin Stetson oder Bobby Krlic (die ohnehin ihresgleichen suchen), der Score ist IMMER on-point und hinterlässt definitiv einen bleibenden Eindruck. So viel zur Affinität.


Worin unterscheidet sich nun „Midsommar“ von „Hereditary“, ohne den direkten Vergleich ziehen zu wollen: Zumal ist das Setting, beziehungsweise der Grundton des Films ein völlig anderer. Während „Hereditary“ in dunkelgrauer, schwerfälliger Finsternis versinkt, baut „Midsommar“ auf 90 % gleißendes Tageslicht unter der "schwedischen“ Mitternachtssonne und speist seine Horror-Vibes aus den abstrusen und sich stetig zuspitzenden Handlungen/Ritualen der Midsommar-Gemeinde, aber auch durch kleine Spitzen innerhalb der Clique. Seien es Beziehungsprobleme zwischen Dani & Christian, oder auch kulturelle Unterschiede, die schlichtweg nicht zueinanderpassen. Es scheint auch so, wie es schon bei Asters Regiedebüt der Fall war, dass der Weg der Figuren und deren Schicksale - bereits von Beginn an - vorgezeichnet war. Etliche Momente des Foreshadowing - die Aster sehr häufig präsentiert - deuten jedenfalls darauf hin. Dieses Mal allerdings nicht durch paranormale, dämonische Kräfte ausgelöst, sondern geleitet durch das eigene Unvermögen, durch antipathische, typisch amerikanische Wesenszüge, die der Dorfgemeinschaft so gar nicht schmecken.


Doch bei all den seelischen und körperlichen Diskrepanzen, die Midsommar von seinen Charakteren abverlangt, hat es Ari Aster irgendwie fertiggebracht, eine durchgehend humorvolle Komponente so gekonnt einzuschleusen, dass sie die Geschehnisse einerseits lustiger wirken lässt, andererseits aber die Handlung nicht dominiert oder gar zerstört. Jetzt mal im Ernst: Ich musste bei einigen Szenen echt loslachen, weil sie so absurd, so völlig aus dem Kontext gerissen waren. Noch dazu diese stupiden, aberwitzigen Dialoge, die mich ganz schön gekillt haben. Ein ganz klarer Unterschied zu „Hereditary“, denn dort sucht man den Humor vergeblich.


Kommen wir zum Fazit:


„Midsommar“ ist in vielerlei Hinsicht ein atemberaubendes, mehr als empfehlenswertes Filmerlebnis. Es beginnt mit einer abartig-imposanten Kamerafahrt und endet letztlich im - für die Protagonistin - befreienden Fiasko, das zwar im Kern extrem tragisch ist, durch die optische Abhandlung von Aster allerdings viel Ästhetik & Komik erhält. (Aster arbeitet ohnehin konstant mit perfekt ausgearbeiteten, ruhigen Einstellungen, mit vielen Standbildern, spielt stets mit Farbkompositionen, die allesamt meist kommentarlos für sich stehen bleiben können.) Untermauert wird das Ganze durch eine groß angelegte Soundkulisse, die der Produktion unsagbar zuträglich ist. Dazwischen gibt es dann auch noch positive, wie negative Charakterentwicklungen, die im Drehbuch gut angelegt wurden und hauptsächlich von den SchauspielerInnen weiterentwickelt und interpretiert werden. Wir haben auch hier wieder das ein oder andere versteckte Easter Egg, das den Zuschauer zur erhöhten Aufmerksamkeit bemüht, keine Sorge: Der Film funktioniert aber auch Stand-Alone als Horror-Drama. Man kann also sagen: „Midsommar“ ist ein nahezu perfektes Arrangement, das bereits jetzt schon einen kleinen Kultstatus genießen darf.


Inhaltsangabe:


Dani und ihr Freund Christian begeben sich auf einen Sommertrip nach Schweden. Gemeinsam mit Christians Clique sind sie zu einem besonderen Mittsommerfestival eingeladen. Doch der anfänglich idyllische Eindruck der abgelegenen Gemeinschaft trügt, die freundlichen Dorfbewohner verhalten sich nach und nach verdächtiger. Sie bereiten ein Ritual vor, das nur alle 90 Jahre zelebriert wird. Was als Fest der Liebe und Glückseligkeit angekündigt wird, entpuppt sich als blutiger Albtraum, der das sonnengeflutete Paradies bis in die Eingeweide erschüttert.

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