FILMKRITIK: „X“ (Horror/Thriller - 2022)



Weiß ja nicht, wie es euch dabei geht, aber ich persönlich bin auf der Suche nach Perfektion, stets in dem Wissen, dass sie nie erreicht werden kann, aber mit der Hoffnung, mich ihr annähernd anzunähern. Aus diesem schier unendlichen Meer an Konzeptionen, DIE qualitativ hochwertigsten Titel im Genre zu finden, DAS ist meine tägliche Antriebsfeder, meine Aufgabe, mein Streben, genau DAS ist der Grund, warum ich vor vielen Jahren „Zwischen den Zeilen“ gegründet habe. Vielleicht wundern sich einige von euch, warum ich mit meinen 8er-, 9er- und 10er-Bewertung äußerst sparsam umgehe? Ganz einfach: Weil es schlichtweg nicht viele 8er, 9er- und 10er-Bewertungen zu vergeben gibt, so einfach ist das.

 

Wie baue ich jetzt die Brücke zur 70er-Slasher-Perle von Ti West? Keine Ahnung, ich will da gar nicht um den heißen Brei herumreden und euch unnötig ein Ohr abkauen, aber: „X“ ist für mich einer der besten Genre-Titel der letzten Jahre. Es ist einfach unfassbar schön zu beobachten, wie viele Komponenten die Regie hier richtig positioniert und abgearbeitet hat. Der Cast ist hervorragend gewählt und passt so perfekt ins atmosphärische Country-Szenenbild, wie ein fehlendes Puzzlestück, nachdem man ewig krampfhaft gesucht hat. Außerdem nimmt sich Ti West sehr, sehr lange Zeit, um dieses Outback-Gebilde zu formen, seinen Cast auf die Umstände optimal einzustellen, und baut eine expressionistische, aber dennoch glaubwürdige Handlung drumherum, die ich - soweit ich das im Kopf habe - in der speziellen Form noch nie gesehen habe.

 

Vor allem bewegt sich diese Story weg von dieser klischeehaften Horrortype der 70er-/80er-Jahre: Eine Gruppe von Teenies bleibt auf dem Highway liegen, sie müssen sich notgedrungen irgendwo bei zwielichtigen Gestalten einquartieren, unterschreiben damit ihr Todesurteil und sind somit quasi zum Abschuss freigegeben. Hier kommen so viele clevere Grundideen zusammen (was für das Genre echt untypisch ist), die mit einer gewissen Selbstironie erzählt werden und die den frischen Nährboden für die moralische Doppeldeutigkeit bilden, die sich durch den gesamten Streifen zieht. Mal wird's blutig, dann wieder straight, dann extrem dialoglastig, Tempo raus, gemixt mit ein bisschen Porno, dann nimm das Ganze wieder Fahrt auf, dann geht die Slasher-Nummer los und keiner weiß eigentlich so genau, wem er überhaupt noch trauen kann. Und wenn sich die Charaktere untereinander schon skeptisch gegenübertreten (auch wenn das manchmal auf einer subtilen Metaebene abläuft.), wie soll sich dann bitteschön das Publikum in Sicherheit wähnen?

 

„X“ ist nicht nur ein weiterer Horrorfilm aus der klischeehaften Standardschublade, in der das immergleiche Zeug lauert, das die Welt ohnehin nicht mehr braucht. Keinesfalls. Er ist vielmehr eine trashige und zugleich neu erfundene Hommage an das 70er-Jahre-Kino, mit dem dazugehörigen Setting, den typischen (körnigen) Bildeinstellungen, den prägnanten Kamerafahrten, dem Einstreuen reflexiver Stilmittel (Film im Film) und dem unverkennbaren Hippie-Sound. Außerdem bekommt man eine richtige coole, stilvolle Handlung geboten, die sich vom niveauvollen Storytelling zum blutigen Slasher entwickelt.

 

Inhaltsangabe:

 

1979 im Süden der USA: Ein Filmteam erreicht ein abgelegenes Bauernhaus im tiefsten Texas, um einen Porno zu drehen. Davon haben Regisseur R.J., seine für den Sound zuständige Freundin Lorraine sowie Schauspieler Jackson Hole und die Stripperinnen Maxine und Bobby-Lynne ihren Gastgeber jedoch nichts erzählt. Dabei handelt es sich um ein isoliertes, älteres Ehepaar, das besonders großen Wert darauf legt, dass es ihren Gästen gut geht. Als jedoch die Nacht hereinbricht, wird das schon leicht aufdringliche Verhalten des Paaren plötzlich zusehends gewalttätig.

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