Rezension: "Aibohphobia“ von Kurt Fleisch

Interessanter (Fun-)Fact vorweg:

Wer an der sogenannten „Eibohphobie“ leidet, der hat defintiv mit einem höchst kuriosen Angstzustand zu tun und gleichzeitig ein ernsthaftes Problem:

Denn der betroffene Personenkreis fürchtet sich panisch vor Palindromen, also vor Wörtern, die vorwärts- wie rückwärtsgelesen den gleichen Sinn ergeben. (z.B.: Lagerregal, Rentner, Ebbe, Kajak, …)


Ganz schön abgedreht oder?


Vielleicht ist es euch bereits aufgefallen, dass auch der geschriebene Zustand (Eibohphobie) per se ein Palindrom darstellt. Man könnte also auch im erweiterten Sinne meinen, dass Menschen, die unter dieser Phobie „leiden“, Angst vor der Angst haben. Die Ironie der Sache ist hier also kaum zu übersehen. Ob es sich hierbei um einen ernstzunehmenden kognitive Zustand, bzw. um eine diagnostizierte (Zwangs-)Neurose handeln könnte, kann und will ich an dieser Stelle nicht beurteilen.


Was lässt sich über den Roman von Kurt Fleisch sagen?


Auf alle Fälle haben wir es hier mit einem höchst interessanten, gesellschaftskritischen Vexirspiel zu tun, in dem der indirekte Perspektivenwechsel der Charaktere eine wesentliche Rolle spielt. Das subjektive Empfinden in Bezug auf eine zugeordnete Opfer- und „Täterrolle“ (wenn man das so bezeichnen will), wechselt im Minutentakt. So bekommen wir ein versiertes „Kammerspiel“ präsentiert, das eigentlich keinens sein sollte, da sich die Protagonisten auf einr medizinisch-distanzierten Brieffeindschaft befinden. Überaus bemerkenswert dabei ist die Tatsache, dass Kurt Fleisch es zustande bringt, den Leser so gekonnt in die Irre zu führen, sodass eine klare klassifizierte Zuordnung, Psychiater und Patient, kaum mehr möglich ist. Zudem werden behutsam einige traumartige Elemente ins Geschehen eingestreut, sodass man immer wieder dazu verleitet wird, mühevoll aufgebaute Sympathiepunkte herzuschenken.

Kurz gesagt: Besagter Psychiater hat selbst einen Gewaltigen an der Waffel und hangelt sich vom Sedativum zum Narkotikum.

Mann muss aber auch anmerken: Dass unter all der ganzen Tragik, die „Aibohphobia“ bereithält, ein derart humoristischer Sockel wartet, der mir die ein oder andere Lachträne in den Augenwinkel gezaubert hat.


Summa summarum: Ein herrlich abgedrehter Spass!


Inhaltsangabe:


Der angesehene und hochdekorierte Psychiater Dr. H. behandelt einen äußerst interessanten Fall, den Patienten S. Der wird trotz mehrmaliger Selbsteinweisung und starker Medikation von Wahnvorstellungen geplagt und sucht einen Ausweg aus seinen Angstzuständen. Dr. H. erkennt in S. das ideale Forschungssubjekt, um seine bahnbrechende Hypothese zur Erklärung jeder möglichen Geisteskrankheit zu überprüfen. Doch auch Dr. H. verliert mit laufender Behandlung mehr und mehr den Halt in der Realität. Und als er sich selbst nach einer manischen Episode in der Psychiatrie wiederfindet, verschwimmt die klare Trennung zwischen Arzt und Patient – wer ist hier eigentlich der Verrückte, und wer hat die Macht, das festzustellen?

Kurt Fleisch lockt mit kurzen, heiteren und unverfänglichen Szenen in eine Geschichte hinein, die sich systematisch verknotet und uns rasch in einem immer wahnwitzigeren, immer gefährlicheren Wirbel mit sich fortreißt, bis Raum, Zeit und handelnde Personen im Auge des Sturms plötzlich in eins zusammenfallen. Überraschend, verstörend und kompromisslos. „Es gibt absolut keinen Grund, an Ihren Geisteskrankheiten zu zweifeln, mein Freund, die sind und bleiben real, trotz aller Widersprüchlichkeit zwischen Ursache und Wirkung.“

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