Rezension: "Mount Copenhagen“ von Kaspar Colling Nielsen

Also: Ich hatte bereits viele Zukunftsszenarien auf dem Nachttisch liegen, jede Menge kluges, dystopisches Material zwischen meinen kritischen Fingern, aber eine derart eigenwilligen, unkonventionellen, BIZARREN, vom Mainstream losgelösten Adaption einer möglichen zukunftsträchtigen Perspektive habe ich bis dato noch nicht gelesen.

Wer Kaspar Colling Nielsens Erzählungen bereits kennt, der weiß, bei diesem skandinavischen Künstler läuft überhaupt nichts auf standardisierte Weise: Seine Geschichten sind stets durchdacht, „realitätsfremd“, zugegebenermaßen auch etwas abtrünnig, ausschweifend, aber außerordentlich intelligent und greifbar.

Er ist auf schriftstellerischer Ebene durchaus als Sonderling zu betiteln, denn seine kultivierte Art Geschichten zu erzählen, Charaktere zu entwickeln und Plots mit durchdachten Nebenhandlungen auszuschmücken ist schon bemerkenswert. Außerdem pflegt er einen stets warmherzigen, liebevollen, niemals belehrenden Grundtonus, der jede seiner Geschichten schmeichelhaft umgarnt, bzw. seinem oftmals (zu sehr) visionären Denken hilft, den Realitätsbezug nicht zu verlieren. Beweisstück: „Der europäische Frühling“

Eines ist auch klar: Die Romane von Kaspar Colling Nielsen sind keine Geschichten, die man mal eben so runterliest. Man sollte sich schon Zeit für seine Lektüren nehmen und sich vor allem selbst Raum gönnen, um hinterher Interpretationsspielraum vorzufinden. (Lässt sich irgendwie mit Matias Faldbakken vergleichen!) Seine Romane wurden übrigens für zahlreiche dänische Buchpreise nominiert, er hat einige Awards bereits in der Tasche, sogar die Holberg Medal durfte er 2017 sein Eigen nennen. (Mount Copenhagen ist übrigens sein Debüt!). Und auch wenn er - laut Vita - der dänischen Regierung aktuell als Redenschreiber unter die Arme greift, könnt ihr ganz unbesorgt sein, denn Nielsen ist kein Redenschwinger. Schreiber: ja, Schwinger: nein. Soll heißen: Seine Texte haben zwar pathetische Ansätze, die Ausführung ist allerdings alles andere als künstlich oder gar kitschig. Ich habe sie immer als sehr bodenständig und gefestigt wahrgenommen.


Doch jetzt zu „Mount Copenhagen“:

Kaspar Colling Nielsen schickt seine Leserschaft ganz klar „back to the roots“. Dort in dieser kleinen aber feinen dystopischen Welt dominieren keine Roboter, keine maschinellen Auswüchse oder gar überwachungsähnliche Konzepte das zukünftige Treiben, sondern das Geschehen wird von einer „lediglich“ 3.500 Meter hohen, künstlich angelegten Bergkonstruktion getragen, deren Fläche sich über 590 Quadratkilometer erstreckt und einer Vielzahl von Menschen (und Tierwesen) ausreichend „Nährboden“ bietet. Genau dort oben, in der Einfachheit der Dinge, liegt der gravierende Unterschied zum sonst so gewöhnlichen Dystopie-Einheitsbrei. Untermauert werden diese recht agrarischen, höchst seltsamen Lebensumstände durch das sensationelle Schreibengagement von Nielsen und dem - besonders hervorzuhebenden - Stil des Dänen. Vor allem aber gefällt mir dieser - immer wieder stattfindende - Abtausch zwischen Fakt und übertriebener Fiktion, dieses Spiel zwischen den moralischen Sittlichkeiten der Bevölkerung, die dazu beitragen, die Realität zu verwischen und die Leserschaft geistig herauszufordern.

Hier wird nicht etwa das Ende der Welt zelebriert, sondern der Neuanfang, der Aus- und Wiederaufbau einer (neuen alten) kolonialen - wenn auch etwas skurrilen - Gesellschaft gefeiert. Ja, „skurril“ trifft das Ganze ziemlich genau. Denn auf Mount Copenhagen trifft man so ziemliche jedes verrückte Wesen, das man sich vorstellen kann, Visionäre, die davon träumen, nicht mehr träumen zu müssen und Träumer, die längst aufgehört haben zu träumen.

Ich möchte Mount Copenhagen wirklich nicht in seine Einzelteile zerlegen, denn es ist schlichtweg die Kombination aus allen Faktoren wie Inhalt, Charakterstudie, Figurenzeichnung, Feingefühl, Charme, Detailtreue,…die den Roman zu einem hervorragenden Werk avancieren lassen.


Inhaltsangabe:


Auf dem Mount Copenhagen, einem 3500 Meter hohen künstlichen Berg in der Nähe der dänischen Hauptstadt, gibt es verschiedene Klimazonen, exotische Pflanzen und Tiere, reiche und arme Bewohner. Ein vertrautes, aber auch fremdes Milieu, in dem Kaspar Colling Nielsen siebzehn miteinander verbundene Geschichten spielen lässt, deren Helden ihr Dasein signifikant verändern. Ein Mann mutiert zum Vogelmenschen, ein anderer entwickelt magnetische Anziehungskraft, ein dritter trifft durch Marathonlauf Gott, der ihn in Kulinarik unterweist. Ein kluges und amüsantes Zukunftsszenario um die Frage, was passiert, wenn der Mensch die Natur zu sehr manipuliert.


»Eine der interessantesten zeitgenössischen literarischen Stimmen Skandinaviens.« (Dagbladet)

»Kaspar Colling Nielsen hat originelle Ideen und vermischt sehr glaubhaft reale Fakten mit wahrscheinlichen und weniger wahrscheinlichen.« (Michel Houellebecq)

»Wenn Sie nach gewöhnlicher netter Unterhaltungsliteratur suchen, dann ist dies sicher das falsche Buch. Nach der Hälfte der Lektüre überlegen Sie kurz, ob der Autor vielleicht gerade den Verstand verloren hat. Oder Sie selbst. Oder vielleicht beide. Aber am Ende ist das völlig egal. ›Mount Copenhagen‹ ist ein großartiges Buch!« 
(Fredrik Backman)


»Abgefahren, wie ein literarischer Acid-Trip.« (Ekstra Bladet)

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