Rezension: „Piranesi“ von Susanna Clarke

Wo soll ich hier bloß beginnen?


Entweder bei der völlig seltsamen Konfusion, die Piranesi bei mir - in positiver wie negativer Instanz - hervorgerufen hat. Oder wir starten mit der (auch wenn es gut gemeint war) grausamen Pronomen-Vergewaltigung, die sich durch das gesamte Werk hindurchzieht.

Mit einem Wort: abartig! Aber ich greife schon wieder vor.


Lasst uns doch erst einmal mit dem Inhalt starten:


Piranesi tritt als eine höchst selstame, völlig abstruse Figur in Erscheinung, die einer wahrscheinlich noch seltsameren Leidenschaft nachgeht. Er studiert die überdimensionale Korridor-Treppen-Labyrinthlandschaft, die im Buch dargestellt wird, kategorisiert und studiert sie, haucht ihr Leben ein und versucht, hinter das „Geheimnis“ dieses höchstgradig desorientierten, architektonisch verworrenen Settings zu blicken.

Damit ist der/die/das gute Piranesi aber keineswegs allein, auch ich für meinen Teil musste mich erstmal mit diesen sonderbaren Gegebenheiten anfreuden und mich vor allem irgendwie zurechtfinden.

Kein leichtes Unterfangen, bedenkt man die vielen speziellen, herausfordernden Abwege, die dieser klare Genregrenzgänger einschlägt.


Was sich aber gleich zu Beginn ausmachen lässt, kann in dreierlei Hinsicht festgehalten werden:


  1. Das Ding hat mich ungemein gefordert. Handlung, Stil und Charakterisierung gehen hier zwar Hand in Hand, werden aber auf völlig unkonventionellem Weg dargeboten. Wer nicht aufpasst, wer seine Gedanken unnötig schweifen lässt, der liegt schneller am Abstellgleis, als man Piranesi sagen kann, das könnt ihr mir glauben.
  2. Es hat sich bei mir sofort das Gefühl eingeschlichen, dass sich Susanna Clarke den guten Protagonisten nicht etwa aus den Fingen gesaugt hat, sondern das er sehrwohl auf einer zwar verstorbenen, aber dennoch realen Persönlichkeit fundiert. Ein Äquivalent zu Giovanni Battista Piranesi ward geboren. Zeit seines Lebens italienischer Archäologe und Architekturtheoretiker.
  3. Jetzt kommen wir zum für mich größten „Eklat“ dieser durchaus unterhaltsamen Tragödie: Das Schriftbild. Und bitte: Jenes hat nichts mit dem Stil der Autorin zu tun, der ist nämlich absolut in Ordnung und steht hier nicht zum Abschuss frei. Es geht lediglich um diese Großschreibung sämtlicher Artikel, die dadurch eine Dominanz des Nomans repräsentieren sollten. Verständlich, aber sowas von unnötig. Beispiel: „Ich bin entschlossen, so viel von Der Welt zu erforschen wie mir zu Lebzeiten möglich ist.“ Ganz ehrlich: Ich find‘s grausam. Aber genug der Kritik.


Um es kurz zusammenzufassen:


„Piranesi“ wirkt wie eine Erzählung über die Enstehung der Welt, die sich aber gleichzeitig anmaßt, das Ende der Gezeiten darzustellen. Ganz schön prekär, nicht wahr?

Man verspürt sehr häufig den Drang, über die Sinnfrage des Lebens nachzudenken, darüber, was es bedeutet (über)lebensfähig zu sein, wie man den Tod eventuell überlisten, bzw. der Welt einer kleinen aber feinen Verjüngungskur unterziehen kann. Kurzum: Piranesi kümmert sich um den antropologischen wie architektonischen Ansatz von Anfang und Ende. That‘s it. In den bestmöglich unterhaltsamen Ramen gepfercht, versteht sich!


Aber da ist noch etwas, das nicht unerwähnt bleiben soll: Und das ist die spürbare Liebe zur Bildhauerei, die Liebe zur Kunst, Skulpturen und Plastiken mit Leben zu füllen. Es ist aber auch die Verherrlichung philosophischer Denkansätze, die der Geschichte etwas Abstraktes, bzw. eine gewisse Magie verleiht. Auch das ist in herzerwärmenden Tönen bei mir als Leser angekommen!


Inhaltsangabe:


Ein riesiges Gebäude, in dem sich endlos Räume aneinanderreihen, verbunden durch ein Labyrinth aus Korridoren und Treppen. An den Wänden stehen Tausende Statuen, das Erdgeschoss besteht aus einem Ozean, bei Flut donnern die Wellen die Treppenhäuser hinauf. In diesem Gebäude lebt Piranesi. Er hat sein Leben der Erforschung des Hauses gewidmet. Und je weiter er sich in die Zimmerfluchten vorwagt, desto näher kommt er der Wahrheit – der Wahrheit über die Welt jenseits des Gebäudes. Und der Wahrheit über sich selbst.

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Kommentare: 1
  • #1

    Ben (Mittwoch, 03 Februar 2021 04:32)

    Es werden doch lediglich die Artikel groß geschrieben, welche die Einzigartigkeit und Gesamtheit dieser speziellen Welt benennen.
    Auch in unserer alltäglichen Sprache nutzen wir dieses Mittel, wenn wir beispielsweise über Gott reden...