Rezension: "Die zehnte Muse“ von Alexander Pechmann

Endlich habe ich in Alexander Pechmann einen sehr umtriebigen, talentierten Schriftsteller gefunden, der die subtile Präsenz eines „Schauerromans“ auf Papier zu bringen vermag, ein Unterfangen, das vielen Kollegen im Genre bereits Probleme bereitet hat.

Ein zweischneidiges Schwert also: Entweder es gelingt, die Handlungsstränge bedacht und sorgsam aufzubauen, läuft aber Gefahr, in Langeweile zu ersticken, oder man überpowert das Ganze, verlangt von der Erzählung einfach zu viel und verliert sich in Scheinheiligkeiten.

Pechmann hat die perfekt ausgewogene Balance zwischen Authentizität und Entertainment, zwischen Offenheit und Geheimniskrämerei in der Figuren-Charakterentwicklung gefunden, die ganz Nebenbei dafür Sorge getragen hat, das aus einem recht harmlosen Plot, ein wirklich vorzeigbares Konzept geworden ist.


Obwohl die Handlungsstränge völlig konträr zueinander sind, war ich beim Lesen stark an Haruki Murakamis „Die Ermordung des Commendatore“ und „Das Gemälde von Susan Hill“ erinnert. Sie haben zwar inhaltlich kaum etwas gemein, die aufkeimende Stimmung, das authentische Heranführen an des Rätsels Lösung dürfte jedoch durchaus zu vergleichen sein.


Alexander Pechmann schickt seine Protagonisten - gleich zweimal (Vergangenheit/Gegenwart) - in den dicht bewaldeten Südwesten Deutschlands (um 1905) und bringt der Leserschaft ein streng reglementiertes, katholisches Klosterinternat näher, deren Gepflogenheiten der damaligen Zeit zwar entsprechend/angemessen waren, heute jedoch - aus gesellschaftlicher Sicht - überhaupt keinen Platz finden würden: Harte, religiöse Führung. Punktuelle, unumgängliche Hausordnungen. Strikte Hierarchiemuster. Geschlechtertrennungen. Kurz: Von der Putzfrau bis zum Direktor,...alles in streng (aber)gläubiger Hand. Die Konsequenz für Inkonsequenz: Strafen, die körperliche, wie geistige Spätfolgen nach sich ziehen. Scheitelknien. Tatzen. Spanking.

Wir reden von jener Zeitepoche, in der Rohrstöcke, Peitschen, Birkenruten, Teppichklopfer, Haarbürsten und Ochsenziemer zur standesgemäßen Züchtigung von Schülern verwendet wurden und eine durchaus beliebte Form der Abmahnung darstellten.


Aus diesem Regime versucht der agierende Hauptcharakter - völlig zurecht - auszubrechen und den jenseits der Internatsmauern liegenden Schwarzwald zu erkunden. Mit Folgen, die nicht immer auf rationale Denkschablonen zurückzuführen sind.

An diesem Punkt kommt das Übersinnliche, das Unerklärliche, das Unheimliche ins Spiel.

Ein Mythos über den sogenannten Schrättele: (Es handelt sich hierbei um eine kleine, dunkle, abgewandelte Form des Nachtalbs, die schlafende Menschen und Tiere anfällt.)

Pechmann ist hier allseits bemüht, dem Aberglauben etwas Manifestes zu verleihen, um einerseits dessen Präsenz zu verstärken, andererseits die Gefühlslage der Hauptfigur transparent zu machen.


Fazit:


Gesellschaftsroman? Familienstory? Historydrama? Schauergeschichte?

Wo genau sollte man Pechmanns Erzählung denn hinstecken? Eines scheint klar zu sein: Auf gar keinen Fall in eine Standard-Schublade, schon gar nicht in die unterste.

So viel sei an dieser Stelle verraten. Ich denke aber auch, dass hier unsere eigene Wahnehmung den Takt vorgeben wird und diesen harmonischen Text in eine passende Rubrik einzuordnen versucht. Wo er schlussendlich landen wird, bleibt wohl dem Leser selbst überlassen.


Es ist jedenfalls die verzweifelte Geschichte eines heranwachsenden „Kindes“, das stets versucht, aus der Norm auszubrechen, erwachsen zu werden, über die Grenzen von festgesetzten (Verhaltens-)Regeln hinauszugehen und um jeden Preis DEN langersehnten Rückzugsort zu finden,...auch wenn es gleichzeitig bedeutet, Berührungen mit Geistern/Dämonen in Kauf zu nehmen.


Inhaltsangabe:


Im Juli 1905 reist der Maler Paul Severin nach Königsfeld im Schwarzwald. Ein geheimnisvolles Mädchen stand ihm dort ein Jahr zuvor Modell für eine Reihe phantasievoller Gemälde. Severins Reisebekanntschaft, der englische Journalist und Abenteurer Algernon Blackwood, ist sich sicher, Severins Modell bereits vor zwanzig Jahren getroffen zu haben. Das Mädchen auf den Gemälden scheint keinen Tag gealtert zu sein. Ungläubig lässt sich Severin Blackwoods Geschichte erzählen: Als Internatsschüler erlebte er nachts in den Wäldern etwas Unheimliches, das ihn noch lange beschäftigen sollte. Auch Severin kennt diesen Wald und seine Geheimnisse und berichtet wiederum Blackwood von seiner dramatischen Kindheit und den sonderbaren Begegnungen, die ihn über Karlsruhe und Paris schließlich nach Königsfeld führten. Die beiden Männer beschließen, dem Rätsel gemeinsam auf den Grund zu gehen. Ihre Suche mündet in einem Labyrinth aus halbvergessenen Gerüchten und Legenden. Doch vielleicht ist die Wahrheit noch phantastischer als Märchen und Spukgeschichten aus alter Zeit.

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