Rezension: "Im Wartezimmer der Unsterblichkeit“ von Alberto Giuliani

Wer in einem sogenannten „Wartezimmer der Unsterblichkeit“ sitzt, der hat wahrscheinlich jede Menge Zeit im Gepäck, einen unbändigen Trieb zur Neugierde, ein geschärftes Bewusstsein, wissenschaftliche Aspekte betreffend, das ständige Verlangen nach dem Unbekannten und kann daher - so würde man annehmen - bestimmt auf eine ewig lange Litanei an Referenzen zurückgreifen.


In Alberto Giulianis Fall sind es die exorbitanten Besonderheiten seiner Reiseerfahrungen, die den Mythos des ewigen Lebens aufleben lassen und den Journalisten/notorischen Skeptiker in ihm, - schlussendlich - an den Rand seiner Vorstellungskraft bringen: Simulierte Mars-Kolonialisierung in Hawai, Kryo-Konservierung, Gentechnik in China, Klone als Lebensversicherung, Robotikentwicklungen.

All diese bedeutenden Referenz-/Erfahrungswerte und die daraus resultierenden Erkenntnisse, begleiten ihn auf seinem vermeintlich „kurzen“ Lebensweg.

Denn seine eigentliche Reise beginnt nicht etwa mit der Geburt, vielmehr mit der kurzen Begegnung zweier unabhängig voneinander auftretender Schamanen, konkreter: mit dem Handlesen und der etwas unschönen, taktlosen Darbietung seiner Zukunftsaussicht.

Ich spreche von zwei grundverschiedenen Vorhersagen, die jedoch eine brutale Gemeinsamkeit innehaben:


„Wenn du dreiundvierzig bist, wirst du an einem heißen Tag einen gewaltsamen Tod erleiden.“


Oh. Das hört man natürlich gerne, vor allem wenn man völlig ungefragt in dieses Horror-Szenario befördert wird. Aber: Ist diese (für den Schamanen völlig harmlose) Aussage erst einmal im Kopf des Empfängers gepflanzt, lässt sie sich nie wieder entfernen.

Einziger Wermutstropfen: Man weiß jetzt wenigstens bescheid und ist (mehr oder weniger) vorbereitet.


Zum Glück hat der gute Esoteriker zwei Survivaltipps parat:


1.
„Du sollst einen gelben Saphir am Zeigefinger der rechten Hand tragen.“ (Wie dich dieser Brockenvor einem herannahenden Bus, einem Blitzschlag, einem Meteoriten, oder einem plötzlich aus der 50sten Etage herabfallenden Piano beschützen soll, ist leider fragwürdig, aber gut...)

2.
„Ein Mann aus der Zukunft kann dir helfen. Finde ihn und vertraue ihm, er wird dir den richtigenWeg weisen.“ (Es wäre auch noch nützlich gewesen zu erwähnen, wo bzw. wen genau er suchen muss. Zukunftsreisende findet man schließlich nicht an jeder Straßenecke. Für all jene die keine Zeitmaschineim Vorgarten geparkt haben, könnte diese Suche zum ewigen Spießrutenlauf werden. Naja.)

Skeptisch wie Giuliani ist, hat er sich natürlich den fetten Klunker gekauft und sich auf die Suche nach dem Propheten aus der Zukunft gemacht.


An dieser Stelle sei gesagt: Alberto Giuliani ist mittlerweile fünfundvierzig Jahre alt, - soweit ich das beurteilen kann - bei bester Gesundheit und dem Tod vorerst von der Schippe gesprungen.


Spaß beiseite: Tatsächlich gibt ihm diese höchst seltsame Zusammenkunft Antrieb, sich Gedanken über die eigene, aber auch über unser aller Zukunft zu machen. Und so führt ihn diese höchst unterhaltsame, dokumentarische Pilgerreise, dieser lange, sinnsuchende Weg einmal um den gesamten Erdball. Sie führt Giuliani schlussendlich zum Fuße der Menschlichkeit, zu den kuriosesten, beeindruckendsten Schauplätzen, die nur dazu dienen sollten, uns vor etwaiigen Gefahren zu bewahren und das (noch nicht zur Gänze erforschte) ewige Leben zu sichern. Sie bringt ihm aber auch jene Menschengruppen näher, die täglich darum bemüht sind, den Sinn des Lebens mit all ihren Wahrnehmungen und Gerätschaften zu erfassen, zu entwickeln und konzipieren.


Worauf ich nach langem Gequatsche eigentlich hinauswill: Mich persönlich haben diese knapp 240 Buchseiten bestens unterhalten, informiert, zum Nachdenken angeregt und auf humoristischer Ebene überzeugt. Auch die am Ende des Werkes angefügten Schnappschüsse geben den vorangegangenen Essays ihre ganz bedeutsame Wirkung.

Doch eine ganz spezielle Sache hat mich wirklich fasziniert: Alberto Giuliani schafft es auf unerklärliche Weise, Distanz zu überbrücken, sentimental zu werden, eine gewisse Nähe zum Leser herzustellen und ihn mit den emotionalen Stories der Figuren zu füttern. Für das Genre höchst ungewöhnlich, aber sehr annehmbar und vor allem authentisch.


Inhaltsangabe:


Der Journalist Alberto Giuliani macht sich auf eine Reise, den Tod zu überwinden. Gleich zwei Wahrsager, eine alte Frau am Baikalsee und ein indischer Brahmane, prophezeien Roberto Giuliani als junger Mann, dass er im Alter von 43 Jahren den Tod finden werde. Für viele Jahre denkt er nicht weiter darüber nach. Giuliani wird ein erfolgreicher Journalist und Fotograf, heiratet, bekommt ein Kind. 

Mit Anfang 40 erinnert er sich wieder an die Prophezeiung bis zu seinem vorausgesagten Tod wäre es nicht mehr lang. Doch es könnte einen Ausweg geben: Ein Mann aus der Zukunft werde ihm helfen können, den Tod zu überwinden, hatte der Brahmane damals gesagt. Auf der Suche nach diesem Mann macht sich Giuliani auf eine außergewöhnliche Reise. Auf der ganzen Welt trifft er Wissenschaftler und Vordenker: NASA-Mitarbeiter, die das Überleben der Menschheit durch eine Kolonialisierung des Mars sichern wollen; Genetiker in Korea, für die das Klonen zumindest von Haustieren schon normal ist. Er besucht ein Unternehmen für Kryo-Konservierung, die größte Gendatenbank in China und ein Forschungszentrum in Japan, wo an neuartigen Robotern und »Ersatzteilen« für den Menschen gearbeitet wird. Bei jeder Begegnung geht es um die Frage, wie unser Leben in Zukunft aussehen kann. Welchen Preis sind wir bereit, für die vermeintliche Unsterblichkeit zu zahlen? Und worum geht es eigentlich – um ein längeres Leben an sich? Oder sind es am Ende vielleicht ganz andere Werte, die zählen? Ein ungewöhnliches und poetisches Buch, das verzaubert.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0