Die wahrscheinlich größte und signifikanteste Besonderheit dieses „Doll Factory“-Herzstückes von Elizabeth Macneal, ist die Tatsache, dass es von abstrusen Charakteren beheimatet, und von noch skurrileren Begebenheiten getragen wird.
Erlaubt mir also bitte den etwas brachialen Einstieg in diese Rezension, so sind es doch Merkmale, die derart unverkennbar sind, dass man sie in der Eröffnungs-Sequenz der Besprechung unbedingt erwähnen MUSS.
Zugegebenermaßen bin ich dennoch verwirrt: Womit haben wir es hier eigentlich zu tun?
Mit einem Familiendrama? Mit einer Gesellschaftssatire? Sind es Ansätze eines Schauerromans? Teile einer Tim Burton-Märchenadaption? (Ich glaube, einige wenige parallele Stränge zu ‚Big Eyes‘ erkannt zu haben!)
Die Beantwortung dieser rhetorischen Fragen ist eigentlich gar nicht von Bedeutung, denn genau diese ständige Ungereimtheit, diese fehlende Kategorisierung, dieser Genregrenzen-Balanceakt lässt den Attraktivitätsgrad der Erzählung prompt in die Höhe steigen und sorgt dafür, dass sich dieser besondere, atmosphärische Reiz der Geschichte, hervorragend entfalten kann.
Eine Sache scheint jedenfalls klar zu sein: MacNeal hat einen überaus lebendigen, stilvollen, stark konzipierten Roman geschrieben, der mit viel Liebe zum Detail arrangiert wurde und von den authentischen Figurenkonstellationen lebt.
Doch neben dem grundsoliden Aufbau der Story, neben der starken Unterhaltungs-Komponente, sowie der passgenauen Figurenentwicklung, die MacNeal hier zum Besten gibt, fällt eine weitere, immens wichtige Sachlage ins Auge: Die sprachliche Ausführung.
Es ist mir tatsächlich überaus selten untergekommen, dass Texte dieser Gattung, mit solch einer Intensität ausgestattet wurden, mit sehr viel Zurückhaltung agieren, gleichzeitig aber auch extrem viel von sich preisgeben. Eine gesunde Mischung aus charmanter, wohlüberlegter Ausdrucksweise und offenen, vorlauten, teils überhasteten Storytelling.
Doch das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange: Das einschneidende Kuriosum, die mysteriös-anmutende Authentizität einer (leerstehenden) Puppenmanufaktur, lässt sich zwar äußerst schwer in Worte verpacken, auf demonstrativem Wege sind aber jede Menge Möglichkeiten geboten. „Zu diesem Zwecke“ ist die Menschheit mit einer sensationallen Struktur, einer ganz besonderen Beschaffenheit ausgestattet, die es ihr ermöglicht, Faszination und „Widerwärtigkeit“ im Wechselspiel zu empfinden. Genau diese höchst unstete Basis macht uns anfällig für Außeneinflüsse, lässt in uns Unwohlsein aufkeimen, macht uns kurzum instabil.
Elizabeth MacNeal macht sich genau dies zunutze und appeliert an unseren Urinstink. Und obwohl ihre Absichten mehr als ehrenhaft sind/waren, dieser Text sehr anmutig, reif, und intelligent wirkt, so enstehen beim Lesen dennoch - ganz unfreiwillig - Bilder im Kopf, die - unter anderem - auch in die „Horror-Schublade“ gepasst hätten. Nicht in jene Lade, in der Geister und Tote liegen, sondern ich spreche von der seelischen Grausamkeit, die sich anhand psychischer Gewalt manifestiert.
Fazit:
Ich liebe diese Art des Erzählens, diesen ständigen Genre-Richtungswechsel, diese Doppeldeutigkeiten, diese ausgeprägte Textstruktur. Ich liebe diesen aufbäumenden, exzessiven, laut fordernden Pro-Feminismus, der in jeder Faser der Geschichte spürbar ist, der wichtige Missstände ins Rampenlicht stellt, der Frauenfiguren aller Art sichtbar macht und ihnen zudem Gehör schenkt. Ich liebe diese frenetische, unüberlegte, teils kitschige Ode an die Malerei. Ich liebe diese Protagonistin, Iris, die so stark auftritt, mutig ist, ihrer Zeit voraus zu sein scheint, die glaubt, zu wissen was sie tut, obwohl sie ihre Handlungen von Intuitionen steuern lässt. Eine starke Persönlichkeit, die jegliches klischeebehaftete Frauenbild aus vergangener Zeit mit Händen und Füßen tritt. Völlig zurecht!
Am Ende steht für mich die alles entscheidende Erkenntnis: Hätte die Stimme der Frau, Ende des 19. Jahrhunderts, eine erhebliche Tragweite gehabt, so bin ich mir ganz sicher, wäre die Welt heute ein wesentlich angenehmerer Ort.
Ein sensationelles Buch!
„...Er sollte lieber aufhören, junge Frauen durch Schaufensterscheiben zu begaffen.“
Er lacht, laut und ungeniert.
„Das ist gar nicht lustig“, sagt Iris und errötet. „Ich bin ein Mensch, kein Ausstellungsstück.“
Inhaltsangabe:
London, 1850. Iris schuftet unter harten Bedingungen in einer Puppenmanufaktur, doch heimlich malt sie Bilder und träumt von einem Dasein als Künstlerin. Als sie für den Maler Louis Frost Modell stehen soll und von ihm unterrichtet wird, eröffnet sich ihr eine völlig neue Welt: Künstlerische Meisterschaft, persönliche Entfaltung und die Liebe zu Louis stellen ihr Leben auf den Kopf. Sie ahnt jedoch nicht, dass sie einen heimlichen Verehrer hat. Einen Verehrer, der seinen ganz eigenen, dunklen Plan verfolgt.
Pressestimmen:
»Ein bemerkenswerter historischer Roman, lebensprall, vibrierend und intelligent.« (SUNDAY TIMES)
»Ich habe schon manchmal Haltestellen verpasst, um ein Buch zu Ende zu lesen. Aber jetzt habe ich zum ersten Mal beinahe meinen Flug verpasst. Die letzten Kapitel von Elizabeth Macneals wunderbar unheimlichem Buch haben mich an meinen Stuhl gefesselt, während meine Frau mir nervöse Nachrichten vom Flughafen schickte. Aber der Roman ist nicht nur ein Thriller, sondern eine unglaublich lebensechte Nachbildung des viktorianischen London und eine intelligente feministische Kritik westlicher Kunst. Diese Geschichte ist einfach unfassbar gut.« (RON CHARLES, WASHINGTON POST)
»Elizabeth Macneals opulentes Debüt wird seine Leserinnen und Leser in den Bann schlagen. Ein mitreißendes, berückendes Abenteuer.« (LYNDSAY FAYE, NEW YORK TIMES)
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