Rezension: "Der Choreograph“ von Håkan Nesser

Håkan Nesser darf man als wahrhaftiges Schweden-Wunderkind bezeichnen: Seit 1980 am schreiben, in den späten 80ern debütiert, danach viele nennenswerte Titel produziert, prägnante Charaktere ins Leben gerufen (Van-Veeteren, Inspektor-Barbarotti,...), Verfilmungen initiiert, Krimipreise abgeräumt,...noch immer fett im Geschäft! („Der Verein der Linkshänder“)

Kurz: Die Leidenschaft zur Literatur, sowie seine starke Beziehung zur Philosophie, lässt sich jedenfalls nicht bestreiten!


Anlässlich seines 70sten Geburtstages, hat sich der btb Verlag etwas ganz Besonderes für die treue Leserschaft überlegt: Håkan Nessers Erstling - Der Choreograph - als limitierte Sonderausgabe zu kreieren. Diese ist in optischer Hinsicht eine kleine Sensation, und dürfte (unter anderem) alle Nostalgiker unter euch zum schlussendlichen Erwerb motivieren.


Zum Roman selbst lässt sich (leider) Folgendes berichten:


So sehr ich Håkan Nessers literarische Qualitäten auch bewundere, ihn für seine etwas speziellen philosophischen Ansätze liebe und ihn für den Mut feiere, mehrere schwierig miteinander zu kombinierende Genres - immer wieder - unter einen Hut zu bringen, muss ich dieses Mal leider gestehen, dass mir genau dieser extravagante Charme gefehlt hat. Die Erzählung wirkt simpel, recht einfallslos, wenig plakativ. Der Protagonist ist über die gesamte Dauer des Romans bemüht, Eigenständigkeit zu beweisen, aus dem intransparenten Schatten seiner Selbst hervorzutreten, sich im Kopf des Lesers zu verankern, bleibt aber leider völlig hinter meinen ganz persönlichen Erwartungen zurück. Auch der bereits oben abgesprochene Charme lässt sich meinerseits nicht finden.

ABER: Man muss an dieser Stelle auch festhalten, dass der btb Verlag in puncto Textgestaltung, Übersetzung, optische Aufarbeitung, großartige Arbeit geleistet hat, der Struktur das Mindestmaß an Tiefe verpasst hat und aus der Erzählung, ALLES, ja wirklich ALLES nur menschenmögliche herausgeholt hat,...denn wenn ich ehrlich sein darf: Mehr war hier nicht drin.


Wie Eugen G. Brahms es bereits in seiner Pressekritik erwähnt: „Nichts hindert einen jedoch daran, „Der Choreograph“ heute zu lesen wie damals, als einen nach wie vor trügerischen Roman mit vielen losen Enden und vorerst nur angedeuteten Mustern...“


Genau diese „angedeuteten Muster“ sind es, die Nesser über die Jahre ernstgenommen, verfeinert, gar perfektioniert hat, ganz im Stile eines hervorragenden Schriftstellers, der die eigenen „Fehler“ aufgreift, poliert und in ein klangvolles Konzept zu bringen versucht. Vielleicht hat er genau diese Makel erst entdecken müssen, um sie in den darauffolgenden Jahren ausmerzen zu können,...wer weiß. Jedenfalls bewahrheitet sich: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen...


Inhaltsangabe:


Der Choreograph erschien 1988. Damals war es Håkan Nessers Debütroman, eine Liebesgeschichte in Form eines Thrillers, dessen Fortsetzung allerdings auf sich warten ließ. Erst fünf Jahre später wurde der erste Band der Van-Veeteren-Reihe veröffentlicht. Danach folgten, wie wir wissen, etwa dreißig Romane und ein paar Bände mit Erzählungen. Nun, da Der Choreograph zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegt, lässt sich das Buch wie ein Vorwort zu dem großen, bereits übersetzten Werk lesen, in dem später regelmäßig wiederkehrende Muster erprobt werden: Ein schwarzrot gemusterter Teppich à la Henry James wird für Van Veeteren, Barbarotti und all die anderen ausgerollt, um darauf zu schreiten, oder es ist ein rotschwarzer Stoff, in den man sich hüllt – etwas, von dem man sich absetzt oder in dem man sich verbirgt; der rot gekleidete Jogger, der fortan frei durch die Bücher läuft, hat seinen ersten Auftritt, als eine Art stellvertretender Leser; und rund um die Kirchenspitze des Doms in der Initialstadt K. sammeln sich die Dohlen, die später in großen, sorgsam choreographierten Schwärmen an zukünftigen Romanhimmeln umhertaumeln werden, murmuring, um mit der suggestiven englischen Vokabel zu sprechen, signalisierend, dass hier der Unterschied zwischen Leben und Literatur, Autor und Leser aufhört, hier wird alles ineinander und auseinander gedreht und gewendet. [...]

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