Rezension: "Das Gerücht“ von Lesley Kara

„In unserer Stadt lebt eine Mörderin.“

 

Mit diesem Satz startet der geniale Plot von Debütantin Lesley Kara. Und damit scheint  auch gleichzeitig klar zu sein: Ist dieses ‚Gerücht‘ erst mal im Umlauf, hat es sich mit der ruhigen, bsonnenen Idylle ausgeträumt. Denn wer lebt gerne mit einer eiskalten Kindermörderin Tür an Tür? Mit Sicherheit NIEMAND!

 

Diese höchst interessante Grundlage hat sich die Autorin zunutze gemacht und versucht, einen unterhaltsamen Thriller um dieses Thema zu bauen. Wohlgemerkt: Mit Erfolg möchte ich meinen, denn Kara hat tatsächlich ein gutes Konzept am Start, viele Bausteine dort platziert, wo sie schließlich hingehören, an den richtigen Protagonisten-Schrauben gedreht, den Unterhaltungswert an seiner Eitelkeit gepackt und somit jede Menge Aspekte sinnvoll integriert. (Eine Vielzahl der Genrekollegen sind an dieser Masterclass-Challenge bereits kläglich gescheitert!)

 

Das bedeutet in Kurzform:

 

Die wichtigste Komponente, die tragende Rolle, die Quintessenz einer Erzählung sind meiner Meinung nach die Charaktere. (Das prädige ich in meinen Rezensionen ständig!) Sind die Protagonisten schwach konzipiert, fahl, fehlt ihnen jedwedes Leben, sind sie dem Leser nicht wohlgesonnen, möglicherweise aufgesetzt, affektiert, kaum zugänglich, entsteht eventuell der Anflug von Antipathie (kann auch manchmal charmant wirken!),...und so kannst du die Erzählung direkt in die Mülltonne packen. Fehlt dann auch noch der Sinn für Weiterentwicklung, ändert sich am „schlechten“ Dasein der Figuren im Laufe der Geschichte rein gar nichts, so ist das gute Stück Papier reif für den Schwedenofen. (Klingt zwar bewusst hart und etwas übertrieben, aber damit möchte ich nur die Wichtigkeit der Charakterzeichnung unterstreichen!) Alles steht und fällt mit dieser Einheit.

 

Lesley Kara hat sich diesen grausamen schablonenhaften Figürchen - Gott sei Dank - nicht zur Gänze bedient: Sie glänzt mit gut klingenden Eigenkompositionen, entwift einen soliden, eigenständigen Background für Haupt-/Nebendarsteller und überzeugt mit einer leidenschaftlichen Darstellung. Unterstützt wird das Ganze durch die Veranschaulichung in der Ich-Perspektive, die der Erzählstimme Luft zum Atmen verschafft und stets das Gefühl entstehen lässt, man hätte einen nie endenden, inneren Monolog vor sich. Ich glaube, das Thema „Charakterisierung“ können wir - aus meiner Sicht - getrost abhaken.

 

Was die sprachliche Komponente betrifft, so ist sie in gleichem Maße wichtig, wie jene der Charakterzeichnung, wenn nicht gar einen Tick erheblicher. Ganz ehrlich: Ich liebe diese trockene, lakonische und dennoch zurückhaltende, beinahe träumerische Ausführung.

 

Nur zur Vervollständigung: Auch wenn wir es hier keinesfalls mit hochtrabender, piekfeiner Literatur zu tun haben, so wirkt der Text - für das Genre zumindest - sehr aufpoliert, ambitioniert, auch sehr strukturiert. Ob man es hier mit einem Thriller, einem Drama, oder was weiß ich zu tun hat, sei an dieser Stelle einfach mal dahingestellt!

 

Fazit:

 

Wer und vor allem wo ist die Kindermörderin Sally McGowan? Diesem zentralen Themenpunkt widmet sich Lesley Kara in diesem höchst unterhaltsamen Debüt-Roman. Und obwohl ich mir in den Dialogen - um ehrlich zu sein - mehr Authentizität gewünscht hätte, so kann man der Autorin keinesfalls absprechen, dass sie mit „Das Gerücht“ einen durch und durch atmosphärischen Text abgeliefert hat, der nicht nur die Gerüchteküche der Charatkere brodeln lässt, sondern auch für den Entertainmentbereich der Leser viel Positives übrig hat. Ob der Schlussakt die versierte Leserschaft vollends begeistern wird, wage ich zu bezweifeln, mir war das Ganze dann doch etwas zu herbeigeführt, zu gekünstelt, aber hier sind ja bekanntlich die Geschmäcker verschieden.

 

Unterm Strich bleibt die Tatsache, dass man es hier mit einem grundsoliden Thriller? zu tun hat, der arrivierte Leser des Genres zwar keineswegs umhauen, aber dennoch ganz gut unterhalten wird.

 

Inhaltsangabe:

 

Joanna zieht mit ihrem Sohn Alfie von London in eine Kleinstadt am Meer. Zunächst ist es die pure Idylle – dann hört sie, dass die Kindermörderin Sally McGowan, die als Zehnjährige einen Spielkameraden umbrachte, unter anderem Namen in der Stadt leben soll. Vor Jahrzehnten machte der Fall Schlagzeilen, inzwischen ist Sally längst aus dem Gefängnis entlassen worden. Unbedacht erzählt Joanna anderen Müttern von dem Gerücht und ihrem Verdacht, wer die Mörderin von damals sein könnte. Sie ahnt nicht, was für eine verheerende Spirale von Ereignissen sie damit in Gang setzt. Und wie sehr sie selbst in diese Geschichte verstrickt ist.

 

„Eine Geschichte über Paranoia und Verdächtigungen, die einem Schauer über den Rücken jagt“ (Paula Hawkins - Girl on the Train)

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