Rezension: „Der unsichtbare Freund“ von Stephen Chbosky

Stephen Chboskys Debütroman („Das also ist mein Leben“) liegt mittlerweile satte 8(!) Jahre zurück. Eine halbe Ewigkeit im Hinblick auf die neumoderne, zwanghafte Schnelllebigkeit des Schriftsteller-Daseins. Die meisten Autoren produzieren am Fließband, liefern in Rekordzeit, ein Buch folgt dem Nächsten, die kreativen, freistehenden Intervalle werden kürzer, der Druck größer, die Qualität (zumeist) schlechter.


Vorweg eine rhetorische Frage: Wie ist es nur möglich, dass Chbosky sich nach dieser langen Zeit zurückmeldet, das Genre der Jugendliteratur (beinahe) komplett hinter sich lässt, einen für ihn völlig neuen Pfad betritt und derart voluminös abliefert, als hätte er nie wirklich aufgehört zu schreiben?!

Die Antwort liegt auf der Hand: Stephen Chbosky ist ein großartiger Autor!!! Einer, der wandlungsfähig ist, stilsicher schreibt, viele verschiedene Gattungen beherrscht, und Charaktere entwerfen kann, die allesamt authentische Alleinstellungsmerkmale besitzen. Perfekt!


Die schriftstellerische Weiterentwicklung ist deutlich erkennbar: Vom schlanken und zierlichen Erstlingswerk, zum 900-seitigen Mystery-Wälzer. Ein mehr als beachtlicher Fortschritt, der seine Spuren hinterlässt. Durchaus positive Spuren.


Das atmosphärische Stimmungsbild des Titels ist hervorragend ausgearbeitet und lässt sich in Bezug auf das Setting, anhand mehrer Beispiele festmachen. So bekommt man es mit einer Mischung aus Stranger Things (Netflix-Serie), „The Outsider“ (Roman von Stephen King und December Park (Roman von Ronald Malfi) und zu tun. Chbosky befindet sich irgendwo dazwischen.


„Der unsichtbare Freund“ unterliegt keinesfalls einer plumpen marketingstrategischen Masche, um Chbosky nach langer Abstinenz wieder ins Spiel bringen zu können, der Titel hat auch inhaltlich einige Finessen zu bieten: Angelehnt an die dichte Erzählstruktur eines Stephen King Romans, überzeugt auch dieses Buch mit detailreichen Ausführungen, atmosphärischen Settingelementen, intensiven Charakterentwicklungen, und bewegt sich im Allgemeinen in sehr ähnlichen Sphären.


Betrachtet man den Handlungsaufbau etwas kritischer, so dürfte diese Story eigentlich gar nicht funktionieren: Verwirrtes Kind wird von lächelnder Wolke in den Wald gelockt, um ein Baumhaus zu bauen, das die Menschen im Dorf vor dem Untergang retten, oder in dessen hineinstürzen soll?! Ernsthaft??? Zu Chboskys Verteidigung: Die Geschichte funktioniert tatsächlich! So abstrus dieser Plot auch klingen mag, so (weitestgehend) ernstzunehmend hat der Autor diese kuriose Ausgangslage dann aber auch zu Papier gebracht. Dafür schon mal meinen großen Respekt.


Wie schon so oft in diesem Jahr, habe ich Probleme mit der Übersetzungsarbeit. Zwar halten sich hier die gravierenden „Schönheitsfehler“ in Sachen Wortwahl, Satzaufbau und Konzeption in Grenzen, es lässt sich aber der ein oder andere Transport-Fauxpas erkennen. ABER: Alles dennoch überschaubar, alles harmlos, alles in bester Ordnung.


Inhaltsangabe:


Die alleinerziehende Kate muss dringend mit ihrem siebenjährigen Sohn Christopher untertauchen. Das beschauliche Örtchen Mill Grove, Pennsylvania, scheint dafür ideal zu sein. Eine Straße führt hinein, eine hinaus. Ringsum liegt dichter Wald. Doch kurz nach ihrem Umzug beginnt der kleine Christopher eine Stimme zu hören. Und merkwürdige Zeichen zu sehen. Zeichen, die ihn in den Wald locken.


Sechs Tage lang bleibt er spurlos verschwunden. Als er wieder auftaucht, kann er sich an nichts erinnern. Aber plötzlich hat er besondere Fähigkeiten. Und einen Auftrag: ein Baumhaus mitten im Wald zu errichten. Wenn er es nicht bis Weihnachten schafft, so die Stimme, wird der ganze Ort untergehen. Ehe sie sichs versehen, befinden sich Christopher, seine Mutter und alle Einwohner von Mill Grove mitten im Kampf zwischen Gut und Böse.

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