Rezension: "Ich ging in die Dunkelheit“ von Michelle McNamara

Stellt euch vor, in eurer Nachbarschaft würden grausame Verbrechen stattfinden. Einbrüche, Vergewaltigungen, bestialische Morde.

Unter den Opfern befindet sich eine Person, die ihr persönlich gut kennt, die euch nahesteht. Möglicherweise ein Freund, eine Freudin, ein Familienmitglied. Ihr seid bestürzt, trauert, und könnt es einfach nicht in Worte fassen. Aus den Medien erfahrt ihr später, dass es sich definitiv um keinen Einzelfall handelt, dass dieser Mord eventuell im Zusammenhang mit einem Serienkiller stehen könnte. Möglicherweise treibt er gerade in deiner Umgebung sein Unwesen. Plötzlich reift in eurem Kopf ein Gedanke heran, der sich zu folgender Erkenntnis ausweitet: „Es hätte auch mich treffen können!“ Dieser eine infizierte Gedanke lässt euch nachdenken, zweifeln, Angst empfinden. Die schlaflosen Nächte werden länger, die Bedenken größer.


Genauso stelle ich mir die verzweifelte Michelle McNamara vor, die vor Ihrem Computerbildschirm sitzt und engagierte Recherchearbeiten durchführt, die zur Aufklärung eben jener Mordserie führen sollten. Dies hat sie auch getan: Zum Zwecke der Überführung hat sie das Online Portal „True Crime Diary“ ins Leben gerufen und sich fieberhaft mit der noch unklaren Identität des „Golden State Killer“ („East Area Rapist“) beschäftigt. Leider - so tragisch dies auch klingt - hat sie das Ende der Fahnenstange nie erreicht: Sie stirbt noch vor Veröffentlichung ihres Buches „Ich ging in die Dunkelheit“.


McNamaras erster und (leider auch) letzter Titel sprüht förmlich vor Einfallsreichtum, vor dunkler Energie, vor bösartigen Absichten.

Es handelt sich hierbei nicht nur um einen verdammt authentischen, stark recherchierten Tatsachenbericht, vordergründig haben wir es mit einer erstklassigen Studie zu tun, die das kalifornische Outback der 70er/80er Jahre, die darin auftauchenden Charaktere, die Historie der Ermittlungsarbeiten (Auswertung DNA, Erstellung Täterprofile,...), Mordopfer und deren verzweifelnde Handlungen bis ins Detail beleuchtet. Eine Geschichte, die den bemitleidenswerten Opfern (und deren Familien) dieser Tragödie, den notwendigen Respekt erweisen, und dem grausamen - zu dieser Zeit aufkeimenden - Serienkiller-Boom die Leviten lesen sollte. Außerdem gibt McNamara bestens Aufschluss darüber, was es bedeutet, DER verstoßene, abgekapselte, dreckige Kern einer Gesellschaft zu sein, der sich in seiner Abgeschiedenheit, in seiner Eintönigkeit, in seiner Niedertracht selbst zugrunde richtet.

Sie verpasste zudem keine Gelegenheit, der Leserschaft vor Augen zu führen, wie unfreiwillig Mordermittler in die Geschehnisse der Opfer miteingebunden werden, bzw. wie detailverliebt die tägliche Arbeit eines Detective auszusehen hat.


Nicht zuletzt handelt es sich auch um das tragische Selbstportrait einer Autorin, die sich für die Gerechtigkeit, für die entscheidende Lösung opferte, und dennoch scheiterte.


Ich bin immer wieder fasziniert und schockiert zugleich, dass es Personen auf unserer Erde gibt, die sich am Leid anderer Menschen bereichern, die durch die Verletzung des Willens und der Moral anderer Menschen eine Motovation erleben, oder deren Hemmschwelle/Reuegefühl derartige Schäden aufweist, dass sogar kaltblütiger Mord zum unterhaltsamen Kavaliersdelikt wird.


Fazit:


Michelle McNamara und James Ellroy („Die Rothaarige“) sind zwei Autoren, die es - meiner Meinung nach - verstanden haben, das „True-Crime-Genre“ auf ein neues, bisher unerreichtes Level anzuheben. Ihre Beobachtungsgabe ist enorm, ihr Einfühlungsvermögen unermesslich, ihre Auffassungsgabe schlichtweg umwerfend.

Man muss aber dennoch ganz deutlich hervorheben, dass McNamaras Titel - „Ich ging in die Dunkelheit“ - die Ellroy-Roman um Längen übertrifft und auch andere True-Crime-Titel, inhaltlich sowie sprachlich, weit hinter sich lässt.


Ich lege mich nun fest: Ihr werdet momentan keine andere True-Crime-Story finden, die sich derart unterhaltsam liest, die mit der Intensität, der Ehrlichkeit, der Authentizität und der atmosphärischen Komponente dieses Werkes mithalten kann.


Ich pflichte Michael Connelly zu 100% bei: „So gut hat noch keiner von realen Verbrechen erzählt.“


Ganz klare Empfehlung!!!


Inhaltsangabe:


Der Killer kam immer nachts: Von 1976 bis 1986 ereignete sich in beschaulichen Vororten in Kalifornien eine Vergewaltigungs- und Mordserie, die das ganze Land erschütterte. Plötzlich stand der Mörder im Schlafzimmer und weckte seine Opfer mit dem grellen Schein seiner Taschenlampe. Immer wieder entkam er unerkannt in die Dunkelheit. 

Michelle McNamara war noch ein Kind, als dieser Killer umging. Als Erwachsene hat sie sich auf seine Spur begeben und über acht Jahre auf eigene Faust ermittelt. Um dem Mörder zu folgen, musste sie sich selbst in die Dunkelheit begeben: in den Kopf eines geisteskranken Menschen, der der Polizei auf unerklärliche Weise immer einen Schritt voraus blieb.


Michelle McNamara kam dem Monster immer näher – und starb, kurz bevor sie ihr Buch fertigstellen konnte. Zwei Freunde beendeten es für sie. Nach Erscheinen wurde es zum Bestseller. Als der Killer kurz darauf endlich gefasst wurde, gab es schließlich auch eine letzte entsetzliche Antwort auf die Frage, wie es ihm gelungen war, so lange unerkannt zu bleiben.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0