Rezension: "Kaschmirgefühl“ von Bernhard Aichner

Nach Rachebraut Brünhilde Blum und Leichenbuddler Max Broll, hat Bernhard Aichner es abermals geschafft, Protagonisten zu entwerfen, die nicht an jeder x-beliebigen Straßenecke anzutreffen sind, mit ihrem einzigartigen Wesen zu glänzen wissen und in Kombination mit der für sie vorgesehenen Geschichte einen hohen Unterhaltungswert zu bieten haben.

Aichner hat ihnen nicht nur die essentiellen „Ecken und Kanten“ verpasst, er hat sie zudem auch noch - im wahrsten Sinne des Wortes - „zu Wort kommen lassen“, denn der Tiroler-Ausnahmeschriftsteller bedient sich in „Kaschmirgefühl“ - zur Gänze - DER sinnhaftesten, ausdrucksstärksten und zugleich intimsten Methode der Charakterisierung: Dem Dialog.

Ein Instrument, das er beherrscht, wie kaum ein anderer Autor. Empfindsam, prägnant, manchmal forsch, leicht kitschig lässt er seine beiden Figuren - in bester Manier - aus dem Nähkästchen plaudern und sich Hals über Kopf ineinander verlieben. Das kann doch schon mal passieren, wenn man völlig verzweifelt zum Hörer greift und die Nummer der Sexhotline wählt, oder? Frei nach dem Motto: Tausche Verzweiflung und Sexentzug gegen Seelenverwandschaft!


Aber jetzt mal ehrlich: Einen Roman in dieser Gangart zu präsentieren, gleicht im Normalfall,  einem literarischen Himmelfahrtskommando. Im Normalfall! Aber was ist bei Bernhard Aichner auch schon „normal“?

Denn lässt man seine knappen, stark reduzierten, stakkatoartigen (Einwort-)Sätze erst mal auf sich wirken, wird man überrascht sein, wie warmherzig, eingehend und vor allem klug konzipiert sie sich anfühlen können.


Ich muss mich wieder einmal selbst zitieren:


„Ich kenne keinen einzigen (Thriller-)Autor, den man auf literarischer Ebene mit Bernhard Aichner vergleichen könnte. Sein unverwechselbarer, reduzierter Schreibstil, seine Dialog-Punktlandungen, seine perfekt ausgearbeitete Protagonisten, sind nur ein paar wenige Beispiele, die seine unfassbare Stärke unter Beweis stellen. Zudem bleib er seinem Konzept stets treu (ganz, ganz wichtig!!), schafft es anhand weniger Worte, Tiefgang enstehen zu lassen und konzentriert sich vor allem immer wieder auf das Wesentliche: Das Schreiben. Und das merkt man.“


Fazit:


Ganz im Stile eines Daniel Glattauer in Bestform („Gut gegen Nordwind“), bloß verruchter, plastischer, lakonischer, bewegt sich Bernhard Aichner in seinem neuen (Kurz-)Roman - „Kaschmirgefühl“ - zwischen triefender Romantik, Sarkasmus, Selbstironie und zynischem Humor. Genau so, wie ich es mir im Vorfeld erwartet hatte. FALSCH! Denn am Beginn des zweiten Drittel kommt es zur schockierenden, dramaturgischen Kehrtwende, die Aichners Erzählung in eine - für mich - völlig neue Bahn befördert, denn eines ist fortan klar: Die anfängliche Lovestory hat plötzlich ausgedient, kleine Lügen und Ansätze von boshaften Sticheleien halten Einzug. Könnte DAS der Todesstoß für die Geschichte sein? Ganz klares „Nein“, denn um ehrlich zu sein, bin ich überaus froh, dass sich die Handlung derart „unromantisch“ (weiter)entwickelt hat, so hebt sie sich ganz wunderbar vom oftmals festgefahrenem Genre-Mainstream ab.


Am Ende lässt sich jedenfalls festhalten: Bernhard Aichner kann über jedes erdenkliche Thema schreiben, ohne dabei aber platt, kopiert, oder gar kaputt zu wirken. Ganz im Gegenteil. Die Idee, seine 180-seitige Geschichte derart dialoglastig aufzustellen spielt Aichner zu 100% in die Karten, da er die Szenerie eines simulierten Gespräches äußerst charmant umzusetzen weiß, eine Aufgabe, an der bereits viele Schriftsteller vor ihm kläglichst gescheitert sind.


Inhaltsangabe:


Gottliebs Tage sind nicht gerade von Leidenschaft erfüllt. Als Krankenpfleger im Hospiz ist er täglich mit dem Tod konfrontiert, Romantik im Privatleben: Fehlanzeige. Von Einsamkeit getrieben ruft er eines Nachts bei einer Sexhotline an. Marie und Gottlieb reden miteinander, anstatt Telefonsex zu haben. Zum ersten Mal hört er Maries Stimme – und mit einem Schlag verändert sich alles.

Krimistar Bernhard Aichner hat große Emotionen, viel Humor und Spannung in seine Geschichte gelegt. Die Sehnsucht nach einem besseren Leben ist es, die Gottlieb und Marie immer weitertreibt – mit Wucht in die offenen Arme des Anderen.

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