Rezension: "Mein loser Faden“ von Dennis Cooper

„Soweit ich gelesen habe, war die Mutter des Jungen eine Hure, bis sie jemand umgebracht hat. Sie hat sich nie die Mühe gemacht, ihm einen Namen zu geben. Das wusste ich. Er war immer der Junge. Als er zehn war, hat sie angefangen, seinen Arsch als Nebenerwerb zu verkaufen. Das wusste ich nicht. Als sein Arsch mehr einbrachte als ihrer, wurde sie eifersüchtig. Einige Männer drehten durch und prügelten die Scheisse aus ihm heraus. Irgendwann drehte dann er durch und fing an, sich zu verbrennen und mit einem Messer zu ritzen. Das wusste ich nicht.“


Ganz schön ungeschminkter Text, oder?


Solltet ihr jedenfalls mit dem Gedanken spielen (und das solltet ihr in diesem Fall wirklich tun), einen abgefahrenen Dennis Cooper Roman lesen zu wollen, dann tut ihr gut daran, euch mit diesem ruppigen, kompromisslosen, durch und durch speziellen Stil anzufreunden, denn: Klischees, Effekthascherei, eingeschränktes Schubladendenken und hochgezüchteten Mainstream-Müll wird es hier nicht geben. Soviel kann ich euch schon mal versprechen.

Um aber zu verstehen, was mich an dieser Erzählung so fasziniert hat, muss man als Leser wohl einige Ebenen tiefer graben und sämtliche Oberflächlichkeit beiseite räumen. Erst dann legt man die tiefgründigeren Positionen der Protagonisten frei und kann sich in deren Handeln einfühlen.


Aber es ist nicht nur die Charakterisierung der Figuren per se, die diese Geschichte besonders werden lässt, sondern die reizvollen, brutalen, teilweise abatrusen Dialoge, die scheinbar ins Nichts driften, unscheinbar, aber dennoch viel zu vermitteln haben. Ein Phänomen, das mir bis dato - in DER speziellen Form - noch nicht untergekommen ist!


Ich hatte (merkwürdigerweise) ständig das Gefühl, vor meinem inneren Auge, einen Film von David Cronenberg zu sehen, der sich noch dazu ganz dreist die skrupellosen, psychisch labilen Charaktere aus „Funny Games U.S.“ (Michael Haneke) ausgeborgt hat. Das meine ich absolut positiv, da ich beide Herrschaften überaus schätze.


Aber bringen wir es doch mal auf den Punkt: Dennis Cooper kann man nicht mit anderen Autoren vergleichen, er schlägt in jeglicher Hinsicht einen völlig anderen Ton an. Vieles reduziert er, lässt gewisse Szenen unausgeführt, bemüht sich um ein Mindestmaß an Konversation zwischen den Figuren, um beim Leser einen Art Leerraum für Gedankenspiele und Interpretationen zu schaffen. Hinzukommt, dass er die Angwohnheit hat, die enorme Brutalität seiner Ausführungen so zu verharmlosen, dass sich ein kaltblütiger Mord wie eine lächerliche Standardprozedur anfühlt. DAS nenn ich mal ein Storytelling par excellence!


Kleiner Tipp gefällig?


Das ist keine klassische „Strandlektüre“, und auch nicht für einen schnellen Quicky gedacht, hierbei handelt es sich eher um ein intensives, kleinlautes, tödliches Spiel mit der Moral, das - zugegebenermaßen - etwas konfus daherkommt und die vollste Aufmerksamkeit der Leser erfordert, um gänzlich erfasst werden zu können.


Inhaltsanagabe:


Gilman ist der Anführer einer rechtsextremen Gruppe, die Todeslisten ihrer Mitschüler führt. Als Pete von Gilman den Auftrag bekommt, für 500 Dollar Bill zu töten, weil er dessen Notizbuch haben will, sucht Pete bei Larry Hilfe. Larry wirkt gefühlskalt und ist gewaltbereit, er erledigt den Job scheinbar ohne Mitgefühl. Aber Larry wird von Schuldgefühlen gequält, er glaubt sich verantwortlich für den Tod eines Freundes. Und er fühlt sich in Sorge zu seinem kleinen Bruder hingezogen, den er aber dennoch schwer misshandelt. Als Larry beginnt, im Notizbuch des ermordeten Bill zu lesen, nehmen seine Verwirrung und Zerrissenheit noch zu. Die Schraube der Gewalt wird immer fester angezogen, bis es kommt, wie es kommen muss – es fallen Schüsse … 


Verwirrung und Zerrissenheit und das Umfeld, aus dem jene hervorgehen, stehen im Zentrum von Mein loser Faden, das 

neben Gus van Sants Elephant die wohl schockierendste Reise in den Kopf eines amerikanischen Teenagers ist. Cooper gelingt es meisterhaft, sich diesem heiklen Sujet ohne jeglichen Voyeurismus anzunähern, er zeigt erbarmungslos auf, dass Gewalt nicht nur die Ränder unserer Gesellschaft betrifft, sondern dass sie aus ihrer Mitte entspringt und ihr eine lange Entwicklung emotionaler Verwahrlosung vorausgeht. Mein loser Faden ist eine Reportage über jugendliche Depression, 

moralische Leere und die Verwirrungen der Liebe, es ist klaustrophobisch und das Erschütterndste daran ist die Erkenntnis, wie nahe Gewalt an Liebe oder besser dem Wunsch danach liegt.

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