Rezension: "Die Plotter“ von Un-Su Kim

Es gibt eine so unglaubliche Vielzahl an literarischen Verbrechern, Gewalttätern, Mördern, Psychopathen,...ohne Herz und ohne Seele. Viele davon verlieren sich zunehmend, entwickeln sich im Laufe der Handlung zu noch grausameren Typen, festigen ihre Rolle als Antagonisten. Einige aber, unsere sogenannten Antihelden, lassen sich bekehren, verändern sich, bekommen urplötzlich so etwas Ähnliches wie eine Moral, ein (schlechtes) Gewissen, gehen mit breiter Brust aus der Geschichte hervor und werden am Ende sogar noch als Messias gefeiert.

In diesem Meer aus unterschiedlichen Persönlichkeiten ist es nicht immer ganz einfach, DEN authentischsten, prägnantesten Charakter herauszufinden.

Und dann kam Raeseng, Auftragskiller von Beruf und bloß ein weiteres verlorenes Individuum, das durch viele schmerzliche Ereignisse aus der Vergangenheit zur kompromislosen Tötungsmaschine wurde, richtig? FALSCH!!!


Dieser Protagonist ist anders, er ist modern, er ist zeitgemäß und er hat drei Eigenschaften, die ihn noch gefährlicher werden lassen, als er ohnehin schon ist: Er ist intelligent (und das trotz fehlender Schulbildung), abgebrüht und hinterfotzig. Dies lässt sich gleich nach dem ersten Kapitel - das übrigens ganz schön fulminant daherkommt - mit deutlicher Bestimmtheit feststellen.

Seine negativen Charakterzüge lassen ihn meist unberechenbar erscheinen, versorgen ihn zwar stets mit einem Haufen Schotter, bringen ihn aber letztendlich in eine problematische, ernstzunehmende Lage, aus der er sich mit größter Mühe zu befreien versucht. Logische Konsequenz: Raeseng muss die Reissleine ziehen und so schnell wie möglich abhauen, denn urplötzlich hat sich noch ein weiterer Aspekt zu seinem Dasein gesellt: Eine Form des Mitgefühls, eine Form der Reue, die man schlicht und einfach „Würde „ nennt. Da sind plötzlich keine beauftragten Tötungen mehr, kein Abschuss aus sicherer Distanz, keine Kohle, keine rot gefärbten Blutflecken, kein Rückhalt der Organisation, kein normales Leben mehr. Doch was isr für einen Berufskiller schon normal? Raeseng spielt jedenfalls nicht mehr bei den Großen mit, ist nun gezwungen, sein eigenes Ding zu machen, wird von allen Plottern des Landes gejagt. Kurz: Raeseng muss beiseite geschafft werden. Und wenn man bedankt, wie die durchschnittliche Lebensdauer eines Söldners aussieht, kann man sich gleich selbst eine Kugel zwischen die Augen jagen.

So kommen wir auch schon zum erheblichsten Unterschied der sich zwischen dem Protagonisten von Un-Su Kim und dem Rest auftut: Raeseng hat Ecken und Kanten, er hat eine glaubwürdige (Vor-)Geschichte, er hat eine markantes Profil, trifft wesentliche Entscheidungen, nicht immer zugunsten der Gerechtigkeit. Doch der wichtigste Unterschied von allen, ist die Tatsache, dass er versucht gnädig, ja fast schon „menschlich“ zu sein, obwohl er tief unter der Hautoberfläche genau weiß, dass dieser Zug längst abgefahren ist.


Aber nicht nur die Zeichnung und Integration der Figuren ist Un-Su Kim hervorragend gelungen, auch inhaltlich darf man sich auf eine sehr persönliche, aufrichtige Story freuen, die weder oberflächlich noch kühl daherkommt, sondern mit viel Hang zur Emotionalität aufgeschrieben wurde und sich liebevoll (wenn man „liebevoll“ in Bezug auf Auftragskiller überhaupt sagen kann?! 😬) um die Sinnhaftigkeit des Geschehens kümmert. Man wundert sich eigentlich ständig, wie es nur möglich sein kann, den Akt des Tötens so normal, beinahe charmant rüberkommen zu lassen. Als wäre es das Zähneputzen vor dem Zubettgehen, so einfach ist das.


Fazit:


Man bedenke: Dieser Titel wurde von der korianischen Originalfassung ins Englische und schlussendlich von Rainer Schmidt für eine deutsche Ausgabe übersetzt. Meisterlich, das muss man an der Stelle mal betonen. Dies spielt klarerweise auch für den Transport des Inhaltes eine ganz wesentliche Rolle: Kein Satz klingt hier unbeholfen, keiner holprig, keiner nachgestellt, aufgesetzt, oder platt.

Und obwohl die Geschichte der Plotter viele bekannte Gangster-/Auftragskillerklischees bedient, hat man sie mehr als authentisch in Szene gesetzt und sprachlich ganz fantastisch wiedergegeben.


Eine ganz klare Empfehlung!!!


Inhaltsangabe:


Raeseng ist Killer von Beruf, seit ihn Old Raccoon als Kind bei sich aufnahm und ausbildete. Aufgewachsen an einem geheimen Rückzugsort in Seoul, einer Bibliothek voller alter Bücher, gehört er zur Killer-Elite Koreas. Denn Old Raccoon ist ein Plotter. Als Kopf der Organisation »Library of Dogs« hat er seit Jahrzehnten alle politisch gewollten Exekutionen in Korea geplant. Doch als die Macht der Diktatur schwindet, gerät auch der Einfluss der Plotter ins Wanken – und eine neue Generation beginnt, ihr eigenes tödliches Netzwerk aufzuziehen. Als Raeseng vom Plan der Plotter bei der Ausführung eines Auftrags abweicht, geraten die Dinge außer Kontrolle – und Raeseng rückt selbst an die erste Stelle der Todesliste … 

Nach Han Kangs Sensationserfolg Die Vegetarierin macht mit Un-Su Kim ein weiterer koreanischer Bestsellerautor international Furore. In Korea gefeiert und mehrfach preisgekrönt, besticht Un-Su Kim in Die Plotter durch einzigartigen Stil und bemerkenswerte Beobachtungsgabe. Mit einfühlsam-sarkastischem Humor lässt er in seinem außergewöhnlichen Krimi noir den Beruf des Killers zum Handwerk werden. Ein faszinierendes Leseerlebnis, das alles zugleich ist: traumhaft und realistisch, hart und aufwühlend. Wie schon Old Raccoon sagte: »Wenn du Bücher liest, wird dein Leben erfüllt sein von Ängsten und Scham« – und alles andere als langweilig.

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