Rezension: „Erhebung“ von Stephen King

Wer glaubt, dass Stephen King nach all der langen Zeit, Teile seiner Kreativität und Imaginationskraft einbüßen, oder gar auf halber Strecke hat liegen lassen müssen, der irrt gewaltig. Seit der Carrie-Erstveröffentlichung 1973, rast dieser verdammt seltsame und zugleich beachtenswerte King-Güterzug - mit voller Wucht - auf uns Leser zu. So unfassbar viele, stark gezeichnete Geschichten, so viele unterschiedliche Protagonisten sind seinem Erstlingswerk gefolgt, die sich wiederum in zahlreichen Filmproduktionen manifestiert haben. Um hier alle Titel nennen zu können, würde schlichtweg der Platz fehlen, bzw. würde dies den Rahmen vollkommen sprengen.


Es ist jedenfalls ganz wunderbar mit anzusehen: Erfolge haben sich seit Beginn seiner Karriere abgezeichnet, Fangruppierungen wurden gebildet, Liebhaber gefunden, Neider geschürt, Spekulationen angeheitzt. Kurzum: Er ist und bleibt ein absolutes Ausnahme-Mysterium. Seine unbändige Schreibkraft lebt immer noch. Damals,...wie heute. Unfassbar.

Um es noch ein wenig zu verdeutlichen: Stephen King hat mittlerweile über 400 Millionen Bücher in mehr als 50 Sprachen verkauft. Er darf sich außerdem alle namhaften Literaturpreise der Szene ans Revers heften, wie zum Beispiel den „World Fantasy Award“, den „Hugo Award“, den „Locus Award“, den berühmten „Bram Stoker Award“, den „National Book Award“, sowie den brüchtigten „Edgar Allan Poe Award“. (Und noch viele mehr...)


Seine unbändige Leidenschaft, die mehr als vorzeigbare Bibliographie, ist mindestens genau so spannend, wie sein vom Leben gezeichnetes Dasein als Mensch und nicht immer ganz greifbarer Horrorautor.

Doch das wohl Kurioseste an der King-Historie ist die Tatsache, dass auch 45 Jahre nach seinem Debüt, seine Handlungen funktionieren, er seine Konzepte immer wieder neu angepasst, seiner Linie treu bleibt, und das Städtchen Maine stets als zentrale Basis ausruft. So auch beim 15. Teil des „Castle-Rock-Zyklus“: ERHEBUNG.


„Scott nimmt rasend schnell ab. Sein korpulentes Aussehen ändert sich trotzdem nicht. Und noch unheimlicher: Wenn er auf die Waage steigt, zeigt sie jeweils das gleiche Gewicht an, egal wie viel er momentan trägt, ob Kleidung oder gar Hanteln. Scott hat Angst, dass man ihn zum medizinischen Versuchskaninchen macht. Aber er muss es jemand erzählen. Zu Dr. Ellis hat er Vertrauen, aber auch der weiß keinen Rat.“


Dass es sich hierbei nicht bloß um einen Kerl handelt, der an unsichtbarem Gewichtsverlust leidet, dürfte wohl allen klar sein. Viel mehr handelt die Geschichte von Identitätsverlust, Daseinsberechtigung und den Ansprüchen, die der Mensch an sich selbst stellt. Wieder einmal hält Stephen King der Gesellschaft - provokant - den selbstkritischen Spiegel vor und weist ganz klar darauf hin, dass es viel vernünftiger wäre, vor der eigenen Tür zu kehren.


Den Inhalt betreffend kann ich mich nur wiederholen:


„Wer imstande ist, ein glaubwürdiges (...glaubwürdig im Sinne eines strukturierten, nachvollziehbaren Aufbaus.) Storykonzept auf Broschürenlänge zu konstruieren, der hat doch meiner Meinung nach den allerhöchsten Respekt verdient. Lange Rede kurzer Sinn: Kritiken hin oder her, wer auf knapp 120 Seiten ein derart ausgefuchste, unterhaltsame Erzählung zusammenbringt, der muss sich nicht hinter seinen 1.500 Seiten-Wälzern verstecken.“ (Auszug aus der Rezension - „Gwendys Wunschkasten“)


Selbiges trifft auch auf das knapp 140seitige Konzept zu. Der Protagonist führt - wie schon so oft - die Handlung und trägt erheblich dazu bei, dass aus einer echt merkwürdigen Angelegenheit, doch noch eine ernstzunehmende Handlung geworden ist.


Aber: Ohne jemandem groß zu nahe treten zu wollen, möchte ich dennoch kurz anmerken, dass ich die Übersetzung stellenweise echt grausam fand. Da lassen sich Satzbildungen, Satzstellungen, Wortgruppierungen, Formulierungen finden,...da steigen einem ja die Haare zu Berge. Äußerst angeschlagen das Ganze. Ich musste dann - fairerweise - zum Leidwesen meiner Leidenschaft zum Gedruckten, auf die Hörbuchversion ausweichen, weil ich schlichtweg die Hoffnung hatte, dass David Nathans charmante Stimme, die leider etwas tollpatschige Übersetzungsarbeit von Bernhard Kleinschmidt ausmerzen könnte. Und das hat er dann Gott sei Dank auch getan. Wie immer: Mit Bravour.


Zusammenfassend könnte man ganz stupide festhalten: Der Inhalt war interessant, zwar nicht der ganz große Wurf, aber auf die eigene Art und Weise unterhaltsam. Die Übersetzung - so leid es mir tut - fand ich phasenweise unbeholfen und ganz schön grausam. Doch David Nathan kam noch rechtzeitig angeritten, um alles wieder schön glatt zu bügeln und die Ausführungen von Stephen King auf ein niveauvolleres Level zu hieven.


Inhaltsangabe:


In seiner netten Wohngegend in der Kleinstadt Castle Rock gerät Scott in einen eskalierenden Kleinkrieg. Der Hund der neuen Nachbarn – zwei Lesben – verrichtet sein Geschäft ständig bei ihm im Vorgarten. Die eine Frau ist eigentlich recht freundlich, die andere aber eiskalt. Die beiden haben gerade ein Restaurant eröffnet, von dem sie sich viel erhoffen. Die Einwohner von Castle Rock wollen aber nichts mit Homopaaren zu tun haben, da ist großer Ärger vorprogrammiert. Als Scott endlich kapiert, was Vorurteile in einer Gemeinschaft anrichten, überwindet er den eigenen Groll und tut sich mit den beiden zusammen. Merkwürdige Allianzen, der jährliche Stadtlauf und Scotts mysteriöses Leiden fördern bei sich und anderen eine Menschlichkeit zutage, die zuvor unter einer herzlosen Bequemlichkeit vergraben lag.

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