Rezension: "Diener der Dunkelheit“ von Donato Carrisi

Man misst einem Prolog, einer aus Film und Fernsehen bekannten „Pilotfolge“ enorme Wichtigkeit bei. Klar, schließlich soll er das gut aufpolierte Aushängeschild der Geschichte sein, der Eye-Catcher, die gültige Eintrittskarte, mit der der Autor versucht, seine Leser zu manipulieren und in seine verquere Welt zu locken. Donato Carrisi hat genau so eine Einleitung geschrieben. Aufregend, aber bodenständig. Neugierig machend, aber keineswegs reizüberflutend.

Man begleitet Samantha Andretti auf einen Spaziergang durch den Vorort, während sie von fremden Augen beobachtet und schlussendlich von einem Unbekannten mit Hasenmaske überwältigt wird. 15 Jahre dauerte das Martyrium, die Gefangenschaft in einem geheimen „Labyrinth“, ehe sie auf offener Straße aufgelesen wird.


[...]„Genko wusste, dass es statistisch unwahrscheinlich war, einem Psychopathen lebendig zu entkommen. Doch wenn es passierte, hatte die Polizei einen wertvollen Zeugen und damit eine Eintrittskarte zu den verschlungenen Irrwegen seiner Verbrecherseele, einem undurchdringlichen Gewirr aus Fantasien, unkontrollierten Trieben, Instinkten und abgründigen Perversionen. Deshalb hatten sie sich einen Profi dazugeholt, um Samantha Andrettis Verstand auszuloten.“[...]


Die Seltsamkeit der Ermittlungsarbeit die Donato Carrisi in seinem Thriller aufarbeitet, liegt ganz klar im Lösungsansatz. Es wird sehr häufig darauf angespielt, dass es nicht etwa darum geht, die vermisste Person zu finden, das Opfer aus der Gefangenschaft zu befreien, sondern den Täter ausfindig und unschädlich zu machen. In dieser exekutiven Handlungsweise liegt der Grundstein des Verderbens. Immer wieder lässt Carrisi seinen etwas in die Jahre gekommenen Protagonisten darüber sinnieren, wie wichtig es doch wäre, diesen „Typen“ mit der Hasenmaske zu finden, ihn aus dem Verkehr zu ziehen und seiner gerechten Strafe zuzuführen. Das Opfer in Gestalt einer jungen, unschuldigen Frau spielt hierbei lediglich die zweite Geige. (Das zeigt ganz deutlich, dass der Drang nach Gerechtigkeit, die Sinnung nach Anerkennung, nach Rachegelüsten, so viel wichtiger ist, als die Freude, eine schmerzlich vermisste Person wiedergefunden zu haben.)


Sprachlich, wie inhaltlich darf man sich hierbei nicht den ganz großen Wurf erwarten, so ehrlich muss man an der Stelle mal sein. Vieles klingt recht unspektakulär, sonderbar vertraut, so als kenne man diverse Sequenzen bereits aus anderen Büchern. Das Rad wird hier keinesfalls neu erfunden. ABER: Man kann sich hier wieder - wie bereits bei seinem Vorgänger „Der Nebelmann“ (der übrigens mit Jean Reno verfilmt wurde) - voll in die Thematik reinhängen, miträtseln und wird über weite Strecken, ganz wunderbar unterhalten.


Inhaltsangabe:


An einer Landstraße wird eine orientierungslose junge Frau aufgegriffen. Sie wird in ein Krankenhaus gebracht, wo sich herausstellt, dass es sich um Samantha Andretti handelt, die 15 Jahre zuvor als damals 13-Jährige spurlos verschwand. Nach und nach kehrt Samanthas Erinnerungsvermögen zurück: Sie wurde in einem unterirdischen Labyrinth gefangen gehalten, von einem Mann, der eine Hasenmaske trug. 

Dieser verstörende Bericht ruft Bruno Genko auf den Plan, der vor 15 Jahren von Samanthas verzweifelten Eltern als Privatdetektiv engagiert worden war. Genko ist unheilbar krank und weiß, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Er beschließt, die Zeit, die ihm noch bleibt, zu nutzen, um Samanthas Fall doch noch zu lösen. Als er seine alten Fährten wieder aufnimmt, stößt er in einem Keller auf einen Karton mit grausigen Kinderzeichnungen. Unwissentlich setzt Genko damit eine Kette von Ereignissen in Gang, die auf erschütternde Weise alles infrage stellen, was er, die Polizei und sogar Samantha selbst über den Mann mit der Hasenmaske zu wissen glaubten.