Rezension: "Die Rothaarige“ von James Ellroy

Lasst mich gleich zu Beginn der Buchbesprechung festhalten, dass wir es hier mit einem kalten, ungeschönten, dramaturgischen Kriminalroman zu tun haben, der gerade wegen seines ‚True Crime‘-Hintergrunds und der detailliert geschilderten Ermittlungs-/Obduktionsarbeit, der Leserschaft extrem an die Nieren gehen wird. Mit Sicherheit. Aber nicht nur die Tatsache, dass dieses grauenhafte Schwerverbrechen an James Ellroys Mutter nie aufgelöst wurde, breitet dem Leser Magenschmerzen, auch das mitschwingende Mitleid, dieses Mitgefühl mit dem Autor, hat mich innerlich zerstört.


Einige der Leser - da bin ich mir ganz sicher - werden die Schreibweise des Autors etwas skeptisch beäugeln. Sie werden diese wahrscheinlich als zu lakonisch, zu distanziert, zu gefühlskalt betrachten.

Hier muss ich intervenieren: Die Erzählweise ist mitunter einer der Hauptgründe, warum ich die Geschichten von James Ellroy so wahnsinnig gerne mag, warum ich so fasziniert davon bin. Er schiebt dem „Mord“ eine so nebensächliche, fast beiläufige Rolle zu, lässt ihn so standardisiert erscheinen, schreibt so abgebrüht, berechnend und emotionslos über ihn, dass sich der Leser beim genießen der Lektüre beinahe schäbig vorkommt. Durch diese Form, ein Gewaltverbrechen und seine Auswirkungen darzustellen, heizt er die tragische Reichweite der Sache um ein Vielfaches an.


Äußerst ansprechend fand ich übrigens auch die Art und Weise, mit der die Geschichte strukturiert wurde: Die ersten 120 Seiten kümmern sich intensiv um die Ermittlungsarbeit, geschildert in der Erzählperspektive. Wie oben erwähnt: Distanziert. Kalt. Der zweite Teil hingegen wurde dann um Einiges persönlicher. Hier switcht Ellroy plötzlich in die Ich-Perspektive und beleuchtet die etwas schwierige Eltern-Kind-Beziehung in eindringlicherer Form. Außerdem gewährt James Ellroy den Lesern Einblicke in sein schriftstellerisches Dasein und öffnet somit das nächste Sub-Genre. So entsteht ein bunter Mix, bzw. ein belebter Kontrast zwischen klassischem Kriminalroman, Biografie und Familiendrama.

Wenn man aber etwas an diesem Roman kritisieren müsste, so wäre das warscheinlich die Tatsache, dass Ellroy fast jede Handhabung der Polizeiermittlung bis ins kleinste Detail niederschreibt, somit die Handlung etwas unnötig in die Länge zieht. Dies könnte womöglich dem einen oder anderen Leser sauer aufstoßen.


Fazit:


Ein brutaler Mord, eine Vergewaltigung, eine Entsorgung, ein entstelltes Opfer, Gerichtsmediziner, die den Leichen den Unterleib auftrennen,...

Das sind nur wenige Komponenten einer Gräueltat und deren Auswüchse, die man sich nicht aus dem Ärmel schütteln muss, um damit einen massentauglichen Kriminalroman entstehen lassen zu können.

Das sind Vorkomnisse, die täglich passieren. Und James Ellroy weiß wovon er redet. Er hat es selbst erlebt. Am eigenen Leib erfahren.

Aber: Auch wenn uns dieses Dinge unwirklich und zugleich grauenhaft erscheinen mögen, so bringen sie den Detectives dennoch die Butter aufs Brot. Diese Tatsache lässt James Ellroy in seinem Werk „Die Rothaarige“ kontant durchschimmern. Nicht nur das. Er schafft es, ein für ihn so emotionales Thema, bodenständig, teilnahmslos, strikt auf die Ermittlungsarbeit fokussiert niederzuschreiben.

Keine Angst: Die Handlung verliert dadurch nichts an Kraft und Zugang, genau das Gegenteil ist der Fall. Sie wirkt ambitioniert, kalkühl, ernst gemeint. Als hätt Ellroy einen persönlichen Bericht aus Medical Detectives, perfekt zwischen zwei Buchdeckel gepresst.


Inhaltsangabe:


Geneva »Jean« Ellroy wurde 1958 in einem schäbigen Vorort von L.A. vergewaltigt und ermordet. Der Täter wurde nie gefasst, die Ermittlungen eingestellt und der Fall als tragischer Ausgang einer durchzechten Nacht ad acta gelegt. James Ellroy war damals zehn Jahre alt. Der Mord an seiner Mutter wurde seine Obsession. In den kommenden Jahrzehnten hat er die verstörenden Erinnerungen abwechselnd verdrängt und im Schreiben heraufbeschworen. Erst 1994 stellt er sich dem Trauma seines Lebens. Zusammen mit dem pensionierten Detective Bill Stoner begibt Ellroy sich auf die Suche: nach seiner Mutter, ihrem Mörder – und seiner Erlösung.


»Ellroy ist der wichtigste zeitgenössische Kriminalautor.« (Der Spiegel)


»Eine erschütternde Autobiographie ... unverblümt, grausam und seltsam erregend.« (San Francisco Chronicle)


»Mit Sicherheit war das Verbrechen an meiner Mutter auch der Impuls, mich der Crime Fiction zu widmen.« (James Ellroy in Die Welt)

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