Rezension "4321" von Paul Auster

Hinter mir liegen nun 1.300 Buchseiten:

 

Voluminös. Intensiv. Vielseitig.

 

Gleich von Beginn an wird man in ein von Paul Auster herbeigeführtes Story-Geflecht hineingezogen, dessen massiges Ausmaß sich von Seite zu Seite, mehr und mehr auswächst und sich schlussendlich zu einer außerordentlich stimmigen Gesellschaftssatire verdichtet.

Die Idee dahinter, dem Leser permanent einen Spiegel vorzuhalten, ihn an diesem (amerikanischen) Vexierbild (mit)leiden zu lassen und ihn ständig an die eigene Schwächen zu erinnern, ist nicht nur extrem unterhaltsam und klug zugleich, nein...es ist viel mehr als das: NOTWENDIG!

Auch die vom Autor bewusst eingesetzte Taktik, eine Vielzahl an Perspektivenwechsel durchzuführen, die beispielsweise einen Erwachsenenroman, urplötzlich, zur Coming-of-Age Story umlenken, die wie aus dem Nichts, Genretwists herbeiführen kann, ist wahrlich eine fulminante Nummer.

Außerdem schafft Auster durch die von ihm in den Roman implementierten Themen (Liebe, Familie, Politik, Religion, Integration, Literatur, Sex, Macht, Sport, Krieg, Zufall, Glück, Schicksal, Leidenschaft,...) die ultimative Nähe zum Leser, und verleiht seinem 'Opus magnum', seinem Meisterstück damit, eine viel größere "autobiografische Note" als ihm wahrscheinlich lieb ist. Gut so. Denn erst dann, wenn man nicht nur für den Protagonisten, sondern auch für den Autor,...Freude, Leid, Mitgefühl, ja sogar Stolz empfinden kann, hält man mit großer Wahrscheinlichkeit ein Lebenswerk in den Händen.

UND: Wer es außerdem fertig bringt - jetzt haltet euch mal ganz gut fest - , einen anderthalb Seiten langen Satz zu schreiben (Beweisstück auf den Seiten 26/27 nachzulesen), der ist entweder ein nie zu Wort kommender Dampfplauderer, Kommafetischist, oder ein schlichtweg teuflisch guter Schriftsteller. Teuflisch gut deshalb, weil dieser Satz am Ende absolut Sinn ergibt, sich in dem Moment klar hervorzuheben weiß und sich hinterher, trotzdem "nur" als Stück des Ganzen einreiht. DAS ist großartig!!!

 

Die Aussage von Marcel Reich-Ranicki trifft es da ziemlich gut:

 

"Sie können den Auster aufschlagen, wo Sie wollen, und er ist immer interessant. Ein geistreicher Schriftsteller, der mit großem Können erzählt."

 

Natürlich muss man auch zugeben, stößt man bei dieser lang andauernden Reise auch mal auf langatmigere Passagen, keine Frage. Auch die verschiedenen Versionen der Handlungsverläufe ähneln sich extrem und stören ab und zu die kurz vorher aufgebaute Harmonie. Außerdem habe ich die von Presse und Verlag sooft angesprochenen "vier explizieten Handlungsstränge" - anfangs - relativ schwer herauslesen können. Vielmehr vermengen/vertauschen sich diese Eventualitäten am laufenden Band und machen damit eine konkrete Differenzierung der einzelnen Phasen kaum möglich. ABER: Die Kunst, diese Abschnitte nicht als füllendes Material, sondern als sinvollen Teil des Ganzen zu verwerten, zeugt von großer Qualität, und DAS ist Paul Auster hervorragend gelungen.

 

Unterhaltsame Literatur ist natürlich immer über die Frage nach dem persönlichen Leser-Geschmack zu definieren und liegt aufgrunddessen im Auge des Betrachters. ABER: Selbst dann, wenn man sich durch jede einzelne Seite dieses Romans quälen müsste (was ich natürlich keinesfalls glaube), die Geduld ständig auf eine harte Probe gestellt werden würde (wird sie nicht), und/oder mit der Art und Weise der Ausführung überhaupt nicht zurechtkommen sollte, so MUSS man die eigenen Lesebedürfnisse kurz mal hinten anstellen, Paul Auster für dieses SPEKTAKULÄRE Werk höchsten Respekt zollen und ihm für seine Leistung kräftig auf die Schulter klopfen.

 

Fazit:

 

Vorsicht ist geboten:

 

Die vier "unterschiedlichen" Varianten, seine Hauptfigur in der Geschichte zu platzieren, sind sich streckenweise so ähnlich, dass man wirklich gut daran tut, höllisch aufzupassen, stets aufmerksam und bei der Sache zu bleiben. Dies wäre meiner Meinung nach die allerwichtigste Grundregel, die es zu befolgen gilt, sollte man sich für Austers Roman entscheiden.

 

Abschließend möchte ich aber noch gerne erwähnen, dass ich - für meinen Teil - diesen virtuosen, mit viel Ironie bestückten Text wahnsinnig gerne gelesen habe und ihn daher all jenen, die sich an der Intensität der Erzählung, sowie an der hohen Seitenanzahl nicht stoßen UND zudem DURCHHALTEVERMÖGEN und eine große AUFMERKSAMKEITSSPANNE besitzen, gerne weiterempfehlen kann!

 

WHAT A F***ING INGENIOUS STORY!!!

 

P.S.: Dass es für die Verantwortlichen/Mitarbeiter des Rowohlt Verlags etwas ganz besonderes sein dürfte, wenn Paul Auster mit so einer gewaltigen Geschichte aufwartet, merkt man ganz klar daran, dass sich der Verlag - sage und schreibe - vier Übersetzer ins Boot holt. Thomas Gunkel, Werner Schmitz, Karsten Singelmann und Nikolaus Stingel. Herrschaften, die bereits Hemingway, Carré, Roth, Grisham, McCarthy...ins Deutsche transportiert haben und außerdem mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Da sich die Arbeit beim Lesen deutlich bemerkbar macht, darf man an dieser Stelle auch mal ein großes Lob ausschütten!

 

Inhaltsangabe:

 

«Ja, alles war möglich, und nur weil etwas auf eine bestimmte Weise geschah, hieß das noch lange nicht, dass es nicht auch auf eine andere Weise geschehen konnte …» «4 3 2 1», das sind vier Variationen des Lebens von  Archibald Ferguson, von allen nur Archie genannt, der – wie Auster – als amerikanischer Jude im Newark der fünfziger Jahre aufwächst. Viermal wird der Protagonist durch das eigene Leben geschickt; als Leser erleben wir mit ihm dramatische, manchmal herzzerreißende Wendungen. Paul Austers große Themen, das Streben nach Glück, die «Musik des Zufalls», Politik und Zeitgeschichte von Hiroshima bis Vietnam – alles ist hier versammelt, verdichtet in vier alternativen Lebenswegen eines jungen Mannes, der sein Glück in der Welt zu finden sucht. 

 

Pressestimmen:

 

"Wer die 1200 Seiten mit ihren oft langen, dahinströmenden Sätzen liest, begreift noch einmal, wie Amerika zu dem wurde, was wir kannten. Und vielleicht auch, warum es irgendwann enden musste … Dass diesem Amerika hinterherzutrauern ist, wissen die meisten Deutschen. 60 Millionen Amerikaner hingegen haben es gerade abgewählt. Lest dieses Buch und weint." (Der Spiegel)

 

"Ein brillantes Buch über die Möglichkeiten des Lebens, über entscheidende Kreuzungs- und Abzweigungspunkte, darüber, wie es hätte weitergehen können, wenn man an einem bestimmten Punkt etwas anders gemacht hätte." (Das Erste)

 

"Ich habe seit langem keinen so guten, so durch und durch widersprüchlichen, so anrührenden, so verspielt leichten und zugleich philosophisch ambitionierten Roman der Gegenwart gelesen wie diesen." (Die Zeit)

 

"Großartiges Werk um Liebe und Literatur, Politik und Widerstand, Basketball und Studentenheime. Eine literarische Sensation? Zweifellos." (Playboy)

 

"‹4 3 2 1› ist ein Sittenbild Amerikas, vor allem des (jüdischen) New York in den Sechzigern, ein Porträt der Gegenkultur, ein prismatischer Coming-of-Age-Roman, eine postmodern verfremdete Autobiografie und vor allem eine Musik des Zufalls, in der alle Motive der Auster'schen Prosa noch einmal zusammenfinden." (Rolling Stone)

 

"Ein weitläufiger, großartiger Roman, in dem man sich verlieren kann; ein Opus magnum voller Tragik und Komik … ‹4 3 2 1› ist Gipfel und Summe von Austers bisherigem Werk." (BR Bayern 2)

 

"Der Großroman ‹4 3 2 1› – ein Meisterwerk ... Ein wuchtiger Entwurf gegen die neue populistische Einfalt, die mit dem Schlagwort der ‹Identitären› die Vielfalt und Widersprüche des Individuums und der Gesellschaft mit wachsender Gewalt negieren und nivellieren will."

(Der Tagesspiegel)

 

"‹4 3 2 1› ist der vermutlich erste vierfache Coming-of-Age-Roman der Literaturgeschichte. ein geniales Gedankenspiel ..." (Abendzeitung München)

 

"Zum 70. Geburtstag hat Paul Auster sich nun selbst das schönste Geschenk gemacht: diesen Roman. Und uns als seine Leser beschenkt er mit." (F.A.Z.)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0