Rezension: "Das Licht der letzten Tage" Emiliy St. John Mandel

Es beginnt mit einem Theaterbesuch; jemand stirbt; dann ein Anruf: „Du musst sofort das Land verlassen…es sind so viele von ihnen bereits gestorben…schnapp dir so viele Lebensmittel wie du nur kannst und bleib vorerst zuhause…“, dann war die Leitung tot.
So beginnt die Geschichte vom Ende der Welt. Es ist die Zeit in der die Angst das Steuer übernimmt, die Zeit in der die Menschen ausgedient haben, sich verbarrikadieren, das Weite suchen, in den Tod gehen…Doch selbst in den dunkelsten Zeiten gibt es Hoffnung…irgendwo…für einen Bruchteil der Menschen…Das Licht der letzten Tage…
Mit diesen Worten möchte ich gerne meine Rezension einleiten und hoffe, euch damit eine kurze, interessante Vorschau auf das Kommende gegeben zu haben. Liest man sich den Klappentext durch, stößt man zuerst nicht auf eine klassische Inhaltsangabe, sondern man hat eine recht einprägsame, aussagekräftige Kurzrezension von „Game of Thrones Papa" – George R. R. Martin vor der Nase. In dieser lobt er „Das Licht der letzten Tage“ in höchsten Tönen und betitelt das Werk von John Mandel sogar mit den Worten „Der beste Roman - mit Abstand. Ich habe dieses Jahr viele gute Romane gelesen, aber dieser überstrahlt alle anderen...“.
Wer den Fantasyautor kennt, weiß, dass er ausgedehnte, dichte Erzählungen sehr zu schätzen weiß und dies höchstwahrscheinlich ein gutes Indiz dafür sein könnte, mit welcher Art Literatur man es hier zu tun bekommt. Aber auch andere Größen der Literatur-/Medienbranche sind in der Klappenbroschur vertreten und singen Lobeshymnen:
„EINFACH ERGREIFEND“ (The New York Times)
“Mandel verlässt die ausgetretenen Pfade des Genres und erschafft den wahrscheinlich fesselndsten und bewegendsten post apokalyptischen Roman, den Sie jemals lesen werden“ (The Independent)
Auch wenn es um den Zusammenbruch unserer Zivilisation nach einer verheerenden Grippeepidemie geht, ist dieser faszinierende Roman so viel mehr als eine apokalyptische Phantasie“ (People Magazine)
Und wisst ihr was?
SIE HABEN ALLE RECHT!
Selten, habe ich eine Endzeitstory so ergreifend, so ehrlich, so dramatisch, so unsagbar verheerend/schön empfunden!
Ich versuche es ein wenig zu präzisieren:
Die Autorin kümmert sich in diesem Roman viel mehr um die postapokalyptische Handlung und um die Vorgeschichte einzelner Figuren, als um die ausgebrochene Grippeepidemie selbst. Die Krankheit als solche wird in den Hintergrund gestellt, der Lebenswandel spielt die Hauptrolle!
Immer wieder war ich erinnert an Cormac McCarthys - "The Road", teilweise finsterer, verlorener, pessimistischer.
Man hatte die ganze Zeit über Hoffnung...Hoffnung worauf? Auf eine bessere Welt? Vergeblich...?
Phasenweise erinnerte mich das Setting aber auch an die Kulisse von "Silent Hill"...diese menschenleeren Straßen, die verlorenen Städte,...dann war ich plötzlich in "The last of us" (Survival Game)...ewige Team-Wanderungen, Gefahren an jeder Ecke,...hinter jedem Busch lauert etwas....Endzeitatmosphäre pur...
In meinem Kopf setzte sich langsam ein bevorstehender Weltuntergang zusammen, der einzig und allein von den Träumen und alltäglichen Tätigkeiten der Figuren verhindert/hinausgezögert wurde. Dann gab es noch Rückblenden, die so eingehend geschildert, so emotional erzählt wurden, dass ich mich plötzlich im Film "The Curious Case of Benjamin Button" wiederfand...
Es war...und ist nach wie vor verrückt...ja....es ist verrückt!
Ich muss aber noch eines loswerden: Klassische Spannungsbögen gibt es in diesem Roman nicht; ebenso findet ihr keine Cliffhanger oder ähnliche Stilmittel. Die Atmosphäre, die Ausweglosigkeit, die Tragik,...aber auch die gut konzipierten Rückblenden sind die Hauptsäulen und tragen diese Story durch die knapp 400 Seiten. Dass Mandel ihrem Debüt ganz klar ihre eigene Handschrift verpasst, wird schon nach den ersten Seiten klar, heißt aber auch, dass sich die Meinungen der Leserschaft teilen wird:
Die einen werden sagen: "...unglaubliches Setting, viel Liebe zum erzählerischen Detail, neuartiger Aufbau; sie beweist großen Mut, sich zwischen den Genres hin und her zu bewegen,...oder gar vielleicht ihr eigenes zu kreieren??...Mandel gibt einfach alles,...und punktet auf voller Länge!!!!"
Die Anderen werden sagen: "...langweiliger, überbewerteter Nonsens..."
Ein (hoffentlich) kleiner Teil wird sagen: "...für mich keine schlüssige Endzeitgeschichte!"
Eines wird aber klar sein: Emily St. John Mandel ist ein Ausnahmetalent und eine hervorragende Erzählerin,...egal ob es gefällt oder nicht!!
Fazit:
"Das Licht der letzten Tage" ist ein zutiefst erschütternder Roman, der den Zerfall der Menschheit, aber auch die immer wieder aufkeimende Hoffnung sehr gut einfängt. Trotz des tristen Handlungsverlaufes, sieht man dennoch viel Positives: aufbäumende Figuren, die gewillt sind weiter zu machen, die den Untergang als Chance für einen Neubeginn akzeptieren/nutzen,...man findet aber auch viel Vergängliches, viele Kleinigkeiten, die das Leben lebenswert machen,...Mandel zwingt uns quasi dazu mit den Figuren in die Vergangenheit zu reisen, sie zu beobachten, sie zu verstehen...sie erinnert uns daran, was unsere Gesellschaft ausmacht und wie wir Alltägliches wieder neu schätzen und lieben lernen. Dies tut sie auf ihre ganz eigene Art und Weise und beweist damit, dass ihr Roman in einer völlig anderen Liga spielt!!
Noch etwas:
Dieses Unterfangen, einzelne Nebenhandlungen zu einer Hauptgeschichte zu verknüpfen, ist soooo schwierig, die Autorin beherrscht dies aber mehr als perfekt. Viele der tragenden Rollen in diesem Buch sind auf wundersame Weise miteinander verbunden, wissen aber nichts davon. Sie begegnen sich wieder, verlieren einander, sterben, überleben,...
Es stellt sich beim Lesen die Frage:
Finden sie je wieder zueinander? Oder müssen wir uns allein mit der Erinnerung begnügen, denjenigen/diejenige gekannt/geliebt/gehasst zu haben?
Man sieht sich plötzlich einer sehr seltsamen Situation gegenüber: - Ich als Leser weiß mehr über die Figuren, als die Figuren über sich selbst. - 
Harter Tobak...!
Ein paar kleine Logikfragen sind dann doch noch aufgetaucht: Wo bunkern die umherziehenden Menschen ihren ganzen Essensvorrat? Tun sie dies überhaupt? Woher haben sie die Nahrung? (Ok sie plündern Häuser,...aber wie sieht es nach 20 Jahren aus? Gibt es da überhaupt noch was zu plündern?) Und Wasser? Wo gibts das denn? Was ist mit dem Virus? Existiert die Grippe fünf, zehn Jahre nach dem Ausbruch überhaupt noch? Gibt es noch Infizierte? Wo sind die Familien? Wie haben die einzelnen Personen nach der Epidemie zusammengefunden? Wo sind die ganzen Toten/Leichen hin? usw.
Diese Nebensächlichkeiten bleiben anscheinend offen und teils unbeantwortet (kann auch sein, dass dies mal erwähnt wurde, ich es aber irgendwie überlesen habe), ABER ich glaube, die Stärke des Buches ist auch zu einem gewissen Teil, diesem 'Nicht-Wissen' zuzuschreiben.
Mich persönlich hat dieser Roman auf voller Länge abgeholt, zum Nachdenken gebracht und traurig zurückgelassen.
"Das Licht der letzten Tage" ist mit Abstand,...mit ganz großem Abstand, der beste Endzeitroman den ich bisher gelesen habe. --> Starke Struktur, große Erzählkunst,...einfach umwerfend. Aber das Buch hat auch eine extrem schreckliche Seite: Nach Beenden der Lektüre, lässt man die Figuren alleine weiterziehen und hat nicht mehr das Gefühl, ein behütetes Auge auf sie zu haben. Man lässt sie ganz allein zurück! Sie sind nun irgendwo da draußen und versuchen zu überleben, aber: "überleben allein, ist unzureichend..."

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